Ausverzaubert
Frankreich, wie es sich die Deutschen wünschen: eine kleine Presseschau zu Emmanuel Macron
Dieser «junge Mann», diese «Chuzpe», diese «frischen Ideen»! Als sich abzeichnete, dass Emmanuel Macron eine Chance haben würde, klangen deutsche Medien wie zu Zeiten des jungen Barack Obama. Oder wie in jener «Aufbruchstimmung» Ende der 1990er Jahre, die einst «Neue Mitte» hieß: Schluss mit «Verkrustung» und «Erstarrung», mit dem Rechts-Links-Gehabe, hinweg mit der «Ideologie», es lebe die «Reform». Man feierte noch Macrons abgedroschensten 1990er-Slogan - «nicht rechts, nicht links, sondern progressiv».
Kurzum, so anfangs die «Tagesschau», könne nun alles «neu und anders» werden: «›En marche‹, das heißt vorwärts, raus aus den alten Strukturen, es heißt schlicht Bewegung. Also genau das, was seit Jahren und Jahrzehnten in der französischen Politik fehlt.» Mit rechts und links habe das nichts zu tun, auch nicht mit der «elitären Politikerkaste», jubelte sie. «Alles» sei jetzt «verhandelbar, sogar die hochheilige 35-Stunden-Woche. Die Welt ist flexibel, warum nicht auch Frankreich»?
Macron, so die «Tagesschau», sei eine «Projektionsfläche». Wohl wahr, besonders für deutsche Meinungsmacher: In der Frühphase des hiesigen Macronismus ging es vor allem um Selbstbestätigung. Um die Erleichterung, dass nun auch in Frankreich mit seinen sozialdemokratischen Restbeständen die Alternativlosigkeit neoliberaler Umgestaltung anerkannt werde. Details seines durchaus bekannten Programms - Einsparung von 60 Milliarden in der Legislatur, Veräußerung von Staatsbeteiligungen, «Arbeitsmarktreform» - wurden sparsam berichtet. Um nicht daran zu erinnern, was auch hierzulande unter dem Gürtel war, bevor er «enger geschnallt» wurde?
Dann kam die Phase des katastrophischen Macronismus: Er oder der Untergang! Besonders nach dem ersten Wahlgang fand eine Übung in Erpresserrhetorik statt. Fast alle deutschen Medien warfen Mélenchon vor, den Faschismus zu riskieren, weil er jetzt nicht für Macron mobilisiere: Eine Gespensterdebatte, er hatte mehrfach vor Le Pen gewarnt. Doch das reichte nicht, um als integer zu gelten. Man musste aktiv für Macron sein. Andersdenkende wie der gerade noch gefeierte Didier Eribon wurden zur «silly left» erklärt, zur «dummen Linken» - wenn nicht gleich zu «Populisten», Le Pen näher als der Demokratie. Wer aber prügelte die Konservativen, die mit dieser liebäugelten und paktierten?
Wie sehr auch diese «Debatte» in Wahrheit nach innen zielte, zeigte die FAZ, als sie im Ton des Weltgerichts über Sahra Wagenknecht schrieb: «Auf Nachfrage weigerte sie sich, Emmanuel Macron zu unterstützen.» Als hätte ihre Meinung reale Konsequenzen - und als hätte sie nicht gesagt, dass natürlich niemand Le Pen wolle. Im Artikel ging es um eine Wesensgleichheit von LINKE und AfD.
Nach dem Wahlsieg aber wurde der «Heiland» und «Deutschlandfreund» blitzartig zum Schmarotzer. «Zeit» wie «Spiegel» jammern, nun sollten «wir» Macron bezahlen. Dabei bleibt unklar, wer «wir» ist - und, was Macron überhaupt will. Auf Vorrat wird über «Eurobonds» geschimpft, die in seinem Programm so nicht vorkommen. Doch «Spiegel»-Schreiber wissen mehr: Dieses «Verfahren kennen wir»! Erkennbar hat der «Verführer» («Spiegel») nun ausverzaubert. Europas Retter ist zu einem Jüngelchen geschrumpft, das «wir» - wiederum laut «Spiegel - zwar »ernst nehmen« sollten - nicht aber, ohne »eigene Bedingungen« zu formulieren. »Wir«, das ist der Fleiß, die Sparsamkeit, die Vernunft. Wer Schäubles Austerität problematisch findet, hat dagegen nur eine »Bistrotischmeinung« (»Welt«).
Viele Franzosen fürchten, Macrons neoliberale Innenpolitik-Agenda werde bei der nächsten Wahl die Front National siegen lassen. In ihrem Wahlkampf könnte Le Pen auch solche Zitate gut verwenden.
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