Gesundheit als exklusives Gut

Fachkonferenz von Nichtregierungsorganisationen kritisierte Abschottungstendenzen in G20-Strategien

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

»Abwehr oder Vorsorge« war die Fachkonferenz überschrieben, die am vergangenen Montag in Berlin auf den G20-Gipfel der Gesundheitsminister am 19. und 20. Mai einstimmen sollte. Eingeladen hatte dazu die Deutsche Plattform für Globale Gesundheit, ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Aktiven aus medizinischen Berufen.

Das am Freitag zu Ende gegangene Treffen der Gesundheitsminister sei nicht »unproblematisch«, so Thomas Gebauer von der Hilfsorganisation »medico international«. Bei den G20-Staaten handele es sich nicht um ein demokratisch legitimiertes Gremium, sondern eher um einen Klub, »in dem nur Mitglied werden kann, wer zu den führenden Wirtschaftsmächten zählt«. Das sage noch lange nichts über deren gesundheitspolitische Kompetenz aus.

Unter anderem die bei dem Ministertreffen geplante Simulation einer weltweiten Gesundheitskrise wurde auf der Fachkonferenz mit deutlicher Skepsis behandelt. Denn die Besserstellung der reicheren Staaten hatte sich schon im Verlauf der Ebola-Epidemie 2014 deutlich gezeigt. Gegen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erließen damals 40 Mitgliedstaaten Reisebeschränkungen. Diese erschwerten nicht nur die Arbeit von Hilfsorganistionen, wie sich Anne Jung von »medico international« erinnerte, sondern führten auch zum Zusammenbruch von Handelsbeziehungen.

»Eigentlich ist Ebola kein Virus, der eine Epidemie verursachen sollte«, so der Arzt Amit Sengupta von der People’s Health Movement, einer indischen Organisation. »Die Menschen sterben sehr früh, die Ansteckungsgefahr ist relativ niedrig.« Seit 1976 ist die Krankheit bekannt, getan wurde nichts. Nach Auffassung Senguptas bräuchte man zur Entwicklung von Impfstoffen wissenschaftliche Technologie, aber: »Die Industrie war nicht interessiert.« Ein Blockbuster, also Umsätze in Milliardenhöhe, war im Fall Ebola ausgeschlossen. Für den indischen Arzt ist Ebola wie ein Spiegel, der zeige, wie sich die Reichen gegen die armen und schmutzigen »anderen« schützen wollten.

Es sei kein Zufall, dass die Krise 2014 drei der ärmsten Länder der Welt getroffen habe. Dabei werde nicht betrachtet, dass in dieser Zeit viele Menschen in diesen Ländern an anderen Krankheiten starben, in Sierra Leone in vier Monaten des Jahres 2014 zum Beispiel 3000 Menschen an Malaria oder 790 Menschen an Aids. Knapp 4000 Menschen starben in diesem Land zwischen 2014 und 2016 an Ebola. Die drei hauptsächlich von Ebola betroffenen Staaten hätten ihre Armut nicht gewählt, sie seien arm aus der Kolonialzeit hervorgegangen. Seit 1980 seien sie aber von der internationalen Gemeinschaft mehrmals aufgefordert worden, ihre Gesundheitsausgaben einzufrieren, erinnerte Sengupta.

Die aktuellen Strategien in der globalen Gesundheitspolitik tendierten zu einer »mythischen Überhöhung« der Sicherheit, während Menschenrechte und Rechtsansprüche auf ein Leben in Gesundheit an Bedeutung verlören, so Gebauer. Viele Faktoren außerhalb der Gesundheitspolitik wirkten in dieses Feld hinein: In der Berliner Diskussion wurden der ökonomische Raubbau durch die extrahierende Industrie oder das Landgrabbing genannt. Sie verschlechterten die Existenzbedingungen der meisten Menschen in den betroffenen Ländern, während ihre Gesundheitssysteme gleichzeitig finanziell und personell ausgetrocknet würden.

Der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen war ein weiteres Thema des G20-Gipfels, mit dem sich die Bundesregierung schon länger international zu profilieren versucht, ohne jedoch selbst ihre Hausaufgaben erledigt zu haben. Sicher sei der unsachgemäße Umgang mit den vorhandenen Antibiotika in anderen Staaten noch gravierender. Jedoch habe sich auf deutschen Intensivstationen die Zahl resistenter Erreger in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, wie Christian Wagner-Ahlfs von der BUKO Pharma Kampagne ausführte. Ein Drittel der 15 000 Todesfälle, die hierzulande durch sogenannte Krankenhauskeime verursacht würden, seien vermeidbar. 90 Prozent dieser Erreger würden über die Hände des Klinikpersonals übertragen.

Ähnlich kritisch sehe es in der deutschen Agrarindustrie aus, etwa weil weiter das Dispensierrecht der Tierärzte bestehe, die Medikamente gleichzeitig verschreiben und verkaufen dürften. In den Niederlanden und Dänemark sei das abgeschafft worden. Die fortbestehenden schlechten Haltungsbedingungen forderten den weiteren Missbrauch von Antibiotika in der Tiermast geradezu heraus, zumal die Branche niedrige Preise durch Masse und Export ausgleichen wolle. Damit verbunden sind gleichzeitig globale Tier- und Fleischtransporte. Auch diese Thematik habe die Bundesregierung bei ihren Bemühungen gegen Antibiotikaresistenzen bisher nicht ausreichend berücksichtigt, so die Kritik.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.