Freispruch für Sorge um das Tierwohl
Tierrechtlerin in Kanada drohte für Engagement für durstige Schweine Gefängnis
Es ist ein heißer Sommertag im Juni 2015 in Kanada. Anita Krajnc steht mit anderen befreundeten Tierrechtsaktivisten an einer Straße nahe der Stadt Burlington und macht etwas, was sie seit zwei Jahren wohl schon Dutzende Male getan hat. Als sie einen mit Schweinen beladenden Tiertransporter der Firma Fearman's Pork Inc. an einer roten Ampel warten sieht, will sie sich einen Überblick über den Gesundheitszustand der Tiere verschaffen.
In Kanada sind die Standards für den Transport sogenannter Nutztiere im Vergleich zu anderen Industriestaaten besonders niedrig. Laut Gesetz werden Schweine nicht nur als Eigentum betrachtet, ein Transport der Tiere darf sogar bis zu 36 Stunden ohne Wasser, Futter und Pausen erfolgen. Hierzulande ist dagegen eine Transporthöchstdauer von maximal acht Stunden für innerdeutsche Fahrten vorgeschrieben, sofern keine entsprechende Versorgung der Tiere stattfindet. In der Schweiz darf ein sogenanntes Nutztier sogar höchstens sechs Stunden in einem Lastwagen transportiert werden.
Für solche schärferen Regelung kämpft auch die Tierrechtsaktivistin Krajnc. Als sie die zusammengepferchten Schweine in dem stickigen und engen LKW erblickt, greift sie zu ihrer Wasserflasche und hält sie den durstigen Tieren hin, damit diese trinken können. Viel für das Leben der Schweine kann sie mit dieser eher symbolischen Geste nicht tun, weshalb Krajnc gegenüber der Albert-Schweitzer-Stiftung auch von einer »Mahnwache« spricht, die sie an diesem 22. Juni 2015 wieder einmal abhält, um auf das Tierleid während der Transporte aufmerksam zu machen. »Indem wir die Fotos und Videos unserer Mahnwachen online veröffentlichen, stellen wir die Verbindung her zwischen dem in Zellophan verpackten Fleisch in Supermärkten und den einzelnen Tieren, die zum Schlachthaus transportiert werden«, so Krajnc.
Doch dieses Mal gibt es Probleme, wie eine weitere Aktivistin der Tierrechtsorganisation »Toronto Pig Save« auf einem Video festhält. Der LKW-Fahrer springt aus seinem Führerhaus, brüllt und bedroht die Tierrechtler. Doch diese tun nichts weiter, als einigen Schweinen Wasser zu geben, worauf sie den Mann auch mehrfach aufmerksam machen. Der antwortet nur, es handele sich schließlich um »keine Menschen« und er werde die Polizei informieren, fährt dann allerdings erst einmal weiter zum nahegelegenen Schlachthof. Dass einige Tiere dort oft nicht lebend ankommen, weiß auch Krajnc. Aufgrund der »sommerlichen Hitze« erleiden manche Schweine einen Herzinfarkt.
Doch diese Protestaktion blieb nicht folgenlos: Der Besitzer der Schweine ging gegen die Tierrechtler vor und erstattete Anzeige gegen Krajnc. Offiziell wurde Anklage wegen des »Eingriffs in fremdes Eigentum« erhoben. Neben einer Geldstrafe drohten ihr im schlimmsten Fall sogar eine Haftstrafe. Zur Erinnerung: Die Aktivisten von »Toronto Pig Save« brachen weder in den LKW ein, noch hielten sie diesen auf oder beschädigten etwas.
Vor wenigen Tagen wurde Krajnc nun freigesprochen, nach anderthalb Jahren Prozess. Der hat sich für die kanadische Fleischindustrie zu einem medialen Desaster entwickelt. Nationale und internationale Medien, darunter der britische Guardian und der Daily Telegraph, griffen den Vorfall auf und machten die miserablen Bedingungen in der Tierindustrie einem breiten Publikum bekannt. Mehr als 125.000 Menschen unterstützten eine Petition, in der sie vom Provinzgericht in Ontario eine Freispruch für die Tierrechtlerin forderten.
Auch vor Gericht ging es plötzlich nicht mehr nur um den eigentlichen Vorfall. Die Beweisaufnahme entwickelte sich auch zu einer Plattform, die die Aktivisten nutzten, um die industrielle Tierhaltung grundsätzlich anzuprangern. Dafür sorgten vor allem Krajncs Anwälte, die unter anderem einen Gutachter über das Empfindungsvermögen, die Gefühle und Persönlichkeit von Schweinen referieren ließen. Da Schweine über ein »Ich«-Bewusstsein verfügten, könne es sich bei ihnen nicht um Eigentum handeln.
Letztlich erging der Freispruch aber aus einem viel banaleren Grund: Der Richter konnte in der Hilfe für die durstigen Schweine keine Sachbeschädigung erkennen, da keinerlei Schaden entstanden sei und Krajnc auch nicht versucht habe, die Tiere vor der Schlachtung zu retten.
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