Warten auf den schwarzen Tag
Die Konkurrenz verzweifelt beim Giro d’Italia am Alleskönner Tom Dumoulin
Tom Dumoulin hat sich in der zweiten Woche des Giro d’Italia zum beherrschenden Fahrer aufgeschwungen. Er dominierte das Zeitfahren. Und selbst bergauf war der Kapitän des deutschen Teams Sunweb nicht abzuschütteln. Vor der entscheidenden dritten Woche geht er mit 2:41 Minuten Vorsprung auf Nairo Quintana ins Rennen. Die große Frage ist, wie er den folgenden Anstiegen auf mehr als 2000 Meter Höhe standhält.
»Ich habe keine Angst vor dem Hochgebirge«, sagt der Flachländer aus Maastricht selbstbewusst. »Wir haben in diesem Jahr zwei Höhentrainingslager absolviert. Auch in der letzten Saison haben wir das gemacht. Ich weiß, wie mein Körper unter solchen Belastungen reagiert«, meinte Dumoulin gegenüber »nd«.
Wie gut die Atmung so weit oben funktioniert und wie zuverlässig der Sauerstofftransport von der Lunge in die Beine ist - auf all solche Details wollte Dumoulin lieber nicht eingehen. Zu viele Hinweise will er seinen Rivalen auch nicht geben. Eines aber ist sicher: Der in Jugendjahren auf den heute nicht mehr geliebten Namen »der Schmetterling aus Maastricht« getaufte Dumoulin verfällt nicht in hektisches Flügelschlagen angesichts solch schwerer Herausforderungen wie Mortirolo oder Stilfser Joch.
Selbstbewusst geht er die dritte Giro-Woche an. Zu diesem Selbstbewusstsein verhilft ihm vor allem das Rosa Führungstrikot, das er seit Tagen auf den Schultern trägt. Er hat es sich hart erarbeitet. Beim Einzelzeitfahren spielte er seine Favoritenrolle aus. So überzeugend, dass Movistars Teamchef Eusebio Unzue schon prophezeite: »Wir müssen ihm in den Bergen jetzt mindestens fünf Minuten abnehmen. Und das wird sehr schwer.« Unzue rechnete zu den drei Minuten Rückstand, die sein Schützling Nairo Quintana im ersten Zeitfahren erlitt, weitere zwei Minuten für das abschließende Zeitfahren am nächsten Sonntag in Mailand ein.
Bergspezialist Quintana machte auf steilerem Terrain bislang aber nur etwa eine halbe von den geforderten fünf Minuten auf Dumoulin gut. Am Blockhaus konnte er sich absetzen, weniger deutlich zwar, als er wollte, denn Dumoulin arbeitete sich wieder näher heran. Aber Quintana blieb vorn. In Oropa musste Dumoulin ebenfalls Quintana zunächst ziehen lassen. In einer Art Bergzeitfahren kämpfte sich der Holländer aber zurück und zog sogar noch an Quintana vorbei. »Mein bisher schönster und wertvollster Sieg. Ich bin überglücklich«, sagte Dumoulin. Er hatte sich endgültig als Bergfahrer etabliert.
Olympiasieger Paolo Bettini wand dem Niederländer extra Lorbeerkränze. »Es war beeindruckend, wie er an Quintana vorbeiging. Die Etappe hat er aber weiter unten gewonnen, als er die anderen ziehen ließ und sein eigenes Tempo fuhr. Es gehören ein klarer Kopf und ein starker Wille dazu. Dumoulin hat beides«, sagte Italiens ehemaliger Nationaltrainer der »Gazzetta dello Sport«.
In Italien sorgte zudem für Begeisterung, wie Dumoulin auf der 15. Etappe nach Bergamo erst das gesamte Feld verlangsamte, um Quintana nach einem Sturz wieder den Anschluss zu ermöglichen, und dann bergab mit dem Lokalhelden Vincenzo Nibali mithielt. Quintana war da zwar auch dabei, luchste Dumoulin sogar Zeitbonifikationen ab. Aber wie erneut Movistar-Chef Unzue feststellte: »Dieser Dumoulin ist einfach gut in allen Situationen.«
In der dritten Woche steht die Nagelprobe an. Gleich zu Beginn warten an diesem Dienstag zwei über 2000 Meter hohe Gipfel. Zuvor ist zum »Warmfahren« noch der gefürchtete Mortirolo angesetzt. »Ich bin gespannt, wie frisch Dumoulin mit 3000 Höhenmetern in den Beinen noch ausschauen wird«, machte sich Quintana am Ruhetag Hoffnung. Für ihn sei der Giro noch nicht entschieden.
Für Dumoulin übrigens auch nicht. »Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man eine Rundfahrt am letzten Berg verliert«, spielte er auf die Spanienrundfahrt 2015 an. Damals brach er am letzten Berg ein, hielt einer Attacke von Fabio Aru nicht stand. »Ich hatte einen schwarzen Tag, war auch die Tage vorher etwas krank«, blickte Dumoulin zurück. Dieses Pech hofft er diesmal zu vermeiden. Um dann endlich tatsächlich als der neue Miguel Indurain gefeiert zu werden: als Zeitfahrer, den man auch in den Bergen nicht aufhalten kann.
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