Zwischen Tränen und Saint-Tropez

Die Frauenmannschaft von Olympique Lyon holt sich den vierten Champions League-Cup und damit den Europarekord

  • Frank Hellmann, Cardiff
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein größerer Kontrast geht kaum. Vor der Haupttribüne des Cardiff City Stadium tanzten eine Stunde vor Mitternacht die Fußballerinnen von Olympique Lyon auf einem Podest, Luftschlangen regneten herab und Kapitänin Wendie Renard, in jeder Hinsicht die herausragende Erscheinung beim alten und neuen Gewinner der Women’s Champions League, hatte Mühe, sich die lilafarbenen Papierstreifen aus den langen Haaren zu zupfen. Derweil stand in einer Stadionecke vor lärmenden männlichen Fans mit freien Oberkörpern eine Torfrau in grüner Kluft, die sich fortwährend die Handschuhe vors Gesicht presste. Die Tränen flossen trotzdem.

Katarzyna Kiedrzynek, polnische Nationaltorhüterin von Paris Saint- Germain (PSG), hatte sich in dem nach Verlängerung torlosen Abnutzungskampf fehlerlos präsentiert, dann machte eine törichte Aktion alles zunichte. Beim Stand von 6:6 im Elfmeterschießen selbst anzutreten, war gewagt und ging fatal schief: Sie schoss vorbei. Sekunden später vollstreckte ihr Gegenüber Sarah Bouhaddi. Ein Rührstück der weiblichen Königsklasse vor mehr als 22 000 Zuschauern war perfekt.

»Sarah ist großartig mit ihren Füßen. Ich denke, dass sie die beste Torhüterin der Welt ist«, stellte Olympique Lyon-Trainer Gérard Prêcheur hinterher eine gewagte These auf. Fakt ist, dass sein Starsensemble wieder Meisterschaft, Pokal und als Krönung die Champions League gewonnen hat. Triple verteidigt. Mehr geht nicht. Und Katarzyna Kiedrzynek hatte es ermöglicht, die sich später weder von der fehlerlos pfeifenden Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus noch von Vater und Schwester trösten ließ. Auch ihre in der ersten Reihe wartende Nichte, die ein Trikot von Robert Lewandowski trug, konnte kein Lächeln in der Familie hervorbringen. Zu viel der Tragik.

Als Dzsenifer Marozsan später die etwas überraschende Auszeichnung zur »Spielerin des Spiels« empfing, sollte die deutsche Nationalmannschaftskapitänin ihr Mitgefühl beschreiben. »Für sie ist das sicherlich hart, aber so ist der Fußball. Ich hoffe, dass sie es in ein paar Tagen vergessen hat.« Eine pragmatische Antwort, aber die 25-Jährige hatte ausreichend damit zu tun gehabt, selbst den sechsten Versuch zu verwandeln. Immer wieder rollte die Kugel in einer Kuhle zur Seite, »der Untergrund war zu tief, zu weich«, sagte Marozsan, ohne sich beschweren zu wollen: War ja alles noch gut gegangen. Übrigens mit demselben Ergebnis wie im Pokalfinale gegen PSG, deren Ensemble in der weiblichen Königsklasse nächste Saison fehlt, weil sich der Montpellier HSC an Position zwei in der Division 1 Féminine gedrängt hat. Seit 2013 sind die Parisiennes nun zum ersten Mal nicht dabei.

Ein Umstand, der die in Frankreich zur besten Spielerin gekürte Marozsan noch mehr bestätigt, mit dem Wechsel alles richtig gemacht zu haben. »Ich habe oft zu hören bekommen, was ich denn dort wolle - die Liga sei doch zu schwach. Jetzt sage ich, dass es nur verdient war, dass zwei französische Teams im Finale standen. Es gibt viele unglaublich gute Spielerinnen, und das Niveau in der Spitze ist sehr hoch.« Sie möchte bei der Europameisterschaft in den Niederlanden von 16. Juli bis 6. August jedenfalls nicht allzu früh auf die französischen Mitstreiterinnen treffen.

Auch Bundestrainerin Steffi Jones oder die neue Scouting-Leiterin Silvia Neid dürften die Warnsignale für den deutschen Frauenfußball mitbekommen haben. Denn die beiden französischen Finalteilnehmer legen Professionalität und Engagement an den Tag, an die hierzulande die beiden Trendsetter, der VfL Wolfsburg und der FC Bayern, nur schwerlich herankommen, sollte es bei den bisherigen Strukturen und der aktuellen Unterstützung bleiben.

»Wir fliegen gleich nach Saint-Tropez«, erzählte nach dem Spiel die eingewechselte Pauline Bremer und berichtete freimütig davon, dass ihr Team den Privatflieger nicht nur zu Feiertrips, sondern auch zu Punktspielen nutzen darf. Zur Wochenendsause hatte noch in der walisischen Hauptstadt der fröhliche Olympique-Präsident Jean-Michel Aulas eingeladen, der es sich ja leisten kann. Und nebenbei sind Champions-League-Triumphe bei den Frauen immer noch unendlich viel günstiger als bei den Männern. Dafür aber nicht minder dramatisch.

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