Unter Genossen auch im Grab
Wohnungsvermieter in Halle scheitert vorerst mit Plänen für eigenen Begräbnisort
Dieser Kalauer lag nahe. »Dauernutzungsvertrag« heißen bei der Wohnungsgenossenschaft »Freiheit« in Halle die Mietverträge. Mit einer Idee, die im Oktober 2016 publik wurde, werde der Anspruch endlich wörtlich genommen, schrieb ein Journalist. Immerhin will der Vermieter für seine Mitglieder auch nach dem Tod da sein: Sie sollen sich auf einer genossenschaftseigenen »Friedfläche« bestatten lassen können.
Die 1954 gegründete Genossenschaft, der knapp 5400 Wohnungen in Silberhöhe und anderen Stadtteilen von Halle gehören, will mehr sein als bloß ein Vermieter. Weil viele der 6284 Mitglieder betagt sind, befasse man sich auch mit Themen wie Demenz und Projekten zur Telemedizin, die ärztliche Betreuung zu Hause ermöglicht, sagt Vorstand Dirk Neumann. Wenn über Krankheit gesprochen wird, kommt das Gespräch auch auf den Tod - und dessen Begleiterscheinungen. Viele Mieter, sagt Neumann, seien in Sorge, ob sie eine Bestattung finanzieren könnten und Hinterbliebenen zur Last fallen. Auf einem Friedhof in Halle kostet ein Reihengrab für 20 Jahre 770 Euro.
Zumindest diese Ausgaben wollte man Mitgliedern der Genossenschaft ersparen. Sie könnten sich, so Neumanns Idee, auf eigens dafür vorgesehenen Flächen bestatten lassen, die dem Vermieter gehören. »Natürlich nicht da, wo Wäsche aufgehängt und Hunde ausgeführt werden«, sagt der Jurist. Ihm schweben künstlerisch gestaltete Areale am Rand der Wohngebiete vor, auf denen Hinterbliebene ungestört trauern können. Für Mitglieder wäre ein Liegerecht in den Anteilen an der Genossenschaft enthalten - als Ausdruck von deren besonderer »Fürsorge«.
Allerdings sind die Pläne vorerst gescheitert - am Friedhofszwang in Deutschland. In Sachsen-Anhalt findet sich die entsprechende Regelung in Paragraf 15 des Bestattungsgesetzes. Leichen würden in Särgen und Asche werde in Urnen »auf Friedhöfen bestattet«, heißt es dort. Ausnahmen gibt es keine, wie auch in den meisten anderen Bundesländern. Nur Bremen hat den Zwang zur Beerdigung auf Friedhöfen im Januar 2015 gelockert. Dort darf die Asche eines Verstorbenen auch unter dem Apfelbaum im Garten beigesetzt werden, vorausgesetzt, der Verstorbene hat in Bremen gelebt und per Verfügung erklärt, dass er einen alternativen »Verstreuungsort« wünscht. Auch der Eigentümer der Fläche muss zustimmen und eine Beeinträchtigung von Nachbarn ausgeschlossen sein.
In Sachsen-Anhalt führt die letzte Reise dagegen zwangsläufig auf einen der Friedhöfe - die wiederum nur Kommunen, Kirchen und Religionsgemeinschaften betreiben dürfen. Die »Neuerrichtung privater Bestattungsplätze und das Anlegen eines Friedhofes durch eine Wohnungsgenossenschaft« sei dagegen »grundsätzlich nicht möglich«, teilte das Sozialministerium im Oktober auf Anfrage der Landtagsabgeordneten Eva von Angern (LINKE) mit. Der Vermieter könne höchstens eine Konzession erwerben und als Betreiber auftreten, wurde angemerkt. Das Ministerium verwies auf eine privatrechtliche Gesellschaft, die im Bördedorf Harbke seit 2014 einen Friedwald betreibt. Träger ist aber weiter die Gemeinde.
Der Hallesche Vermieter will das nicht - und suchte angesichts der rigiden Regularien eine Alternative. Er beantragte bei der Stadt, eine Fläche auf einem Friedhof für eine Pauschalsumme zu übernehmen, die in eigener Regie hätte gestaltet und für Bestattungen von Mitgliedern reserviert werden können. Die Stadt habe nach ausführlicher Prüfung unter Hinweis auf die Friedhofssatzung aber abgelehnt, sagt Neumann. Gräber hätten von der Genossenschaft nur zu den geltenden Gebühren vergeben werden können. »Dann wären wir nichts als ein Inkassounternehmen«, sagt er: »Mit der ursprünglichen Idee hat das nichts mehr zu tun.«
Deren Zeit werde jedoch kommen, ist Neumann überzeugt. Ein ähnlich strikter Friedhofszwang wie in der Bundesrepublik bestehe nur noch in Italien; Länder wie die Schweiz oder Tschechien praktizieren dagegen das Prinzip der »Asche zur freien Verfügung«. Umfragen zufolge wollen zwei Drittel der Bundesbürger eigentlich nicht auf Friedhöfen beerdigt werden. Derzeit stehen dem noch starke finanzielle Interessen entgegen; Parteien scheuen sich vermutlich aus Pietätsgründen, das Thema Friedhofszwang aufzugreifen. In 20 oder 30 Jahren aber, ist Neumann überzeugt, wird die Bestattung im Wohnviertel nichts Undenkbares mehr sein.
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