Berlin: Vermehrt Schwule und lesbische Flüchtlinge attackiert
Senatsverwaltung zählte im vergangenen Jahr 355 Beleidigungen, Bedrohungen und Verletzungen / Beratungsinitiativen gehen von hoher Dunkelziffer aus
Berlin. Viele schwule, lesbische und transsexuelle Flüchtlinge sind in den vergangenen Jahren Opfer von Pöbeleien und Drohungen geworden. Einige wurden auch angegriffen und verletzt. Das geht aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Justiz auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Tom Schreiber hervor. Manche Übergriffe gingen von Wachleuten in den Flüchtlingsunterkünften und Behörden aus.
Die genaue Zahl der Beleidigungen und Bedrohungen ist sehr unsicher. Der Senat gab für 2016 die Zahl von 355 an. 2015 waren es 162, im Jahr davor nur 14. Die allermeisten Übergriffe betrafen schwule Männer und Transsexuelle unter den Flüchtlingen.
Die Zahlen stammen von drei Beratungsinitiativen für Schwule und Lesben. Dazu erläuterte der Senat, die Angaben seien oft nicht vollständig, außerdem seien Mehrfachnennungen möglich, wenn ein Flüchtling sich bei verschiedenen Beratungsstellen meldet. Andererseits gibt es eine hohe Dunkelziffer, weil manche Opfer sich möglicherweise gar nicht melden.
Bei der Polizei wurden im vergangenen Jahr elf Fälle bekannt. Darunter waren sechs Körperverletzungen und ein Raubüberfall. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat keine eigenen Zahlen zu dem Thema.
Der Verein Lesbenberatung Berlin gab an, dass 2016 insgesamt 47 Vorfälle und Übergriffe gemeldet worden seien, bei denen die Täter zum Sicherheitspersonal von Unterkünften gehörten. »Hierbei handelte es sich bei 37 Meldungen um verbale Beleidigungen, bei acht um körperliche und bei zwei um sexualisierte Gewalt.«
Zudem sollen sich 50 Vorfälle von Beleidigungen im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten oder in der Vorgängerbehörde LaGeSo abgespielt haben. »Die Betroffenen berichteten dabei mehrheitlich von der Verwendung beleidigender Begriffe sowie beleidigenden verbalen und nonverbalen sonstigen Äußerungen.«
Tom Schreiber kommentiert die Zahlen im sozialen Netzwerk Facebook mit den Worten: »Dieser Zustand in unserer Gesellschaft ist unerträglich. Sexuelle Minderheiten anzugreifen aufgrund von Hassgewalt und Homophobie. Wir können und dürfen es nicht Dulden.«
Schon früher war bekannt, dass sich in Flüchtlingsheimen manche Wachleute, die oft türkischer oder arabischer Herkunft sind, beleidigend gegenüber Homosexuellen äußern. In vielen muslimisch geprägten Gesellschaften ist Homosexuellenfeindlichkeit deutlich weiter verbreitet als in Deutschland.
Der Senat aus SPD, Linken und Grünen fördert diverse Beratungsvereine für Schwule und Lesben und finanziert viele Aufklärungsprojekte für mehr Toleranz. dpa/nd
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