Gentrifizierung in Havanna

Ferienwohnungen und Einkaufsmeilen verändern das Stadtbild und verteuern die Mieten

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 7 Min.

Auf seine Wohnungssuche angesprochen, verzieht Osbel Sanabria das Gesicht. »Havanna ist extrem teuer geworden«, erklärt er. Nichts zu machen, soll das heißen. Seit Monaten schon versucht er, eine kleine Ein- oder Zwei-Zimmerwohnung in Havannas beliebtem Stadtteil Vedado zu finden. Dabei kann sich sein Budget mit 150 CUC pro Monat für Miete für kubanische Verhältnisse durchaus sehen lassen - ein CUC entspricht etwa einem US-Dollar, staatliche Gehälter schwanken zwischen 25 und 30 CUC pro Monat. »Alles vergeblich. Ich finde einfach nichts für diesen Preis«, sagt der Anfang-Dreißigjährige, der als Koch in einem Privatrestaurant und nebenbei als Tätowierer arbeitet.

Die Schauspielerin Mabel Torres hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Auch sie hat Schwierigkeiten, in Vedado, wo sie seit Jahren wohnt, eine bezahlbare Mietwohnung zu finden. »Vor sechs Jahren noch habe ich hier für eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Balkon 140 CUC im Monat bezahlt. Heute ist es selbst für 300 oder 400 CUC fast unmöglich, eine Wohnung zu bekommen«, klagt sie. »Meine Freunde ziehen nach und nach weg aus Vedado, da sie die Mieten nicht mehr bezahlen können.« Ähnliches lässt sich in der Altstadt und in abgeschwächter Form im Stadtteil Centro Habana beobachten.

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Seit der Regierungsübernahme durch Raúl Castro im Jahr 2008 befindet sich Kuba im Umbruch. Die Wirtschaft wurde für ausländisches Kapital geöffnet, der Staatssektor reduziert und mehr Privatinitiative zugelassen. Darüber hinaus erlaubte die Regierung unter anderem den Kauf und Verkauf von Autos und Immobilien.

Das führte zum einen dazu, dass Häuser und Wohnungen heute wieder Kapitalanlage bzw. Produktionsmittel - als Bars oder Ferienwohnungen - geworden sind. Zum anderen haben im Zuge der Ausweitung des Kleinunternehmertums - in Kuba trabajo por cuenta propia, Arbeit auf eigene Rechnung, genannt - viele Haus- und Wohnungsbesitzer, die früher nicht selten unter der Hand vermietet haben, heute ihr Geschäft legalisiert, trotz relativ hoher Steuerabgaben. Dies fällt zusammen mit einem Tourismusboom. Spätestens seit Ende 2014, als der damalige US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro den Beginn einer vorsichtigen Annäherungspolitik verkündeten, ist Kuba eines der angesagtesten Reiseziele weltweit.

Angesichts der schwierigen Situation der kubanischen Wirtschaft - im abgelaufenen Jahr war das Bruttoinlandsprodukt um ein Prozent zurückgegangen - und der wirtschaftlichen und politischen Probleme von Kubas wichtigstem Handelspartner Venezuela, das seine Öllieferungen nach Kuba reduziert hat, setzt die Regierung Raúl Castro auf Tourismus als Entwicklungsmotor. Vergangenes Jahr wurde erstmals die Marke von vier Millionen Touristen überschritten, darunter mehr als 614 000 US-Amerikaner - Tendenz weiter steigend. Der Internationale Währungsfonds erwartet in Zukunft allein aus den USA drei bis fünf Millionen Touristen jährlich. Die meisten der 65 000 bestehenden Hotelzimmer sind trotz zum Teil exorbitanter Preise auf Monate hin ausgebucht.

»Was soll ich für 400 oder 500 CUC im Monat vermieten, wenn ich ein Zimmer für 35 CUC pro Nacht vermieten kann?«, macht Juan Carlos die Rechnung für seine Zwei-Zimmer-Wohnung in Centro Habana auf, für die er erst kürzlich die Vermietungslizenz beantragt hat. Auf der Insel gibt es heute bereits 14 000 privat vermietete Zimmer, der größte Teil davon in Havanna.

»Infolge der aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen erleben Kubas Städte einen Strukturwandel, auf den sie kaum vorbereitet sind. Die Öffnung für Marktmechanismen sowie der sprunghafte Anstieg des Tourismus insbesondere durch die Annäherung an die USA bringen weitreichende Änderungen der urbanen Nutzung mit sich«, erklärt Bert Hoffmann, Kuba-Experte am German Institute of Global and Area Studies (GIGA). »Die soziale Polarisierung der Gesellschaft wird sichtbar. Einzelne Gebäude oder Wohnungen werden teils aufwendig renoviert, um als Restaurant oder Bed and Breakfast für Touristen genutzt zu werden, während parallel dazu - oft in unmittelbarer Nachbarschaft - der Verfall der Bausubstanz ungebremst weitergeht.« In attraktiven Wohnlagen verzeichnen Wohnungsbesitzer einen hohen Wertzuwachs ihrer Häuser und mit den Wirtschaftsreformen können diese nun auch legal verkauft werden. »In der Folge erleben etwa die zentralen Stadtteile Havannas einen Prozess der Gentrifizierung, bei dem bisherige Bewohner verdrängt werden, wenn Wohnungen in Touristenunterkünfte umgewandelt oder von zahlungskräftigeren Kubanern (oft mit finanzieller Unterstützung aus dem Ausland) erworben werden.«

Besonders betroffen ist Havannas als UNESCO-Weltkulturerbe eingestufte Altstadt. Nachdem eine Sonderwirtschaftszone in Mariel - 45 Kilometer westlich von Havanna - eingerichtet und der Industrie- und Containerhafen dorthin verlagert wurde, wird die Bucht von Havanna zum Hafen für Tourismus. Bis zu dreimal pro Woche legen Kreuzfahrtschiffe in der kubanischen Hauptstadt an. An Bord haben sie mehrere Tausend Passagiere, zumeist US-amerikanische Rentner, die sich in die ohnehin von Touristen überlaufene Altstadt ergießen. »Die Ankunft des ersten großen Kreuzfahrtschiffs im Sommer 2016 gab einen Vorgeschmack auf das, was manche ›Venedigisierung‹ nennen: Wenn Havanna mehr noch als bisher zum Touristenmagneten und zur Kreuzfahrt-Destination mutiert, wird dieser Wandel auch die kulturelle Identität und das Lebensgefühl der Stadt ändern«, befürchtet Hoffmann.

Ein Wandel, der bereits zu beobachten und zu greifen ist: Die Häuserpreise, vor allem in der Altstadt, sind stark gestiegen, lang ansässige Bewohner ziehen weg. Die Lebenshaltungskosten steigen.

Vor allem in der Altstadt fühlt man sich mancherorts wie vor der Revolution. Die Bars und Restaurants sind gefüllt mit zahlungskräftigen Touristen; Kubaner bedienen, sorgen als Musiker für die Unterhaltung oder verkaufen vor der Tür ihre Körper.

»Die Altstadt gehört den Ausländern«, sagt Maykel León*, der ohne Lizenz auf eigene Rechnung als Immobilienscout arbeitet und pro Verkaufsgeschäft seine Provision verdient. Vor allem Chinesen, Russen und Koreaner würden wie verrückt kaufen. Da Ausländer in der Regel Immobilien nicht legal auf Kuba erwerben können, tun sie dies über kubanische »Strohmänner«. Es gebe, so León, Immobilienagenturen, die spezielle juristische Konstrukte anbieten, nach denen die ausländischen Immobilieninvestoren ihr Geld zumindest formal absichern können. »Alles wird zu Restaurants, Bars und Ferienwohnungen«, sagt León. »Die Altstadt, vor allem der bereits restaurierte und Malecón-nahe Teil ist mehr oder weniger komplett verkauft.« Aber auch angrenzende Straßenzüge in Centro Habano, die Gegend zwischen Galeano, Malecón und Colón, das frühere Rotlichtviertel, seien sehr beliebt. »Die Häuserpreise hier haben extrem angezogen. Stell' Dir vor: ein Zimmer mit Balkon auf die Plaza Vieja kostet locker 150 CUC/Nacht.«

Das Phänomen ist auch in Vedado zu beobachten: alt ansässige Nachbarn verkaufen ihre Häuser und ziehen in günstigere (Außen-)Bezirke. Die freiwerdenden Wohnungen und Häuser werden zu Ferienwohnungen. »Habana Vieja entvölkert sich«, so León mit einem bitteren Lächeln.

Eine Möglichkeit, Verdrängung und der Disneyisierung der Altstadt entgegenzuwirken, wäre, die Vergabe von Ferienwohnungs- und Barlizenzen zu beschränken. Es fehlt wohl das Problembewusstsein. Zudem steht die kubanische Regierung vor einem schwierigen Spagat: Einerseits den Tourismus zu fördern, um die Wirtschaft in Gang zu bringen und Einnahmequellen für die Bevölkerung zu schaffen, sei es durch Jobs in der Tourismusindustrie oder privates Gewerbe wie Zimmervermietung oder Taxi fahren; gleichzeitig aber die Schere zwischen Arm und Reich nicht zu groß werden zu lassen.

Die wird zumindest sichtbarer. Anfang Juni soll das in der Altstadt gelegene Luxushotel Gran Hotel Manzana Kempinski die ersten Gäste empfangen. Die Zimmerpreise des neuen Fünf-Sterne-Hauses bewegen sich zwischen 370 und 660 US-Dollar pro Nacht, wie Alessandro Benedetti, Sales- und Marketing-Direktor bei Kempinski, gegenüber der Presse erklärte. Bereits Anfang Mai öffnete die Luxus-Einkaufspassage ihre Pforten. Die Produkte in den Auslagen der Gucci-, Versace- und Montblanc-Geschäfte aber kann sich kaum ein Kubaner leisten. Die teuren Geschäfte zeugen von einer neuen Zeitrechnung: Konsum hält Einzug auf der Insel, deren Gesellschaft auf dem Ideal sozialer Gleichheit gründet. Weitere Luxushotels sind bereits geplant.

Trotzdem glaubt der kubanische Journalist Manuel E. Yepe, dass Havanna gegen Gentrifizierung immun sei. »Havanna wird nicht gentrifiziert werden«, schreibt er in einem Artikel unter gleichlautender Überschrift auf dem staatlichen Internetportal Cubadebate. »Die Bevölkerung, die weltweit bekannt ist für ihre Lebensfreude, ihre Traditionen, ihre Gastfreundschaft, Großzügigkeit und Solidarität wird absolute Besitzerin der jedesmal schöneren und einladenderen Stadt bleiben.«

Kubanern wie Osbel oder Mabel aber ist mit Berufung auf Lebensfreude und Ideale der Revolution allein nicht geholfen. Mabel hat nach langer Suche immerhin eine renovierungsbedürftige Zwei-Zimmer-Wohnung in Centro Habana für 250 CUC pro Monat gefunden. Osbel sucht noch immer und freundet sich langsam mit dem Gedanken an, dass das in Vedado nichts werden wird.

* Name geändert

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.