Macron will Fußfesseln und Hausarrest für Verdächtige

Sicherheitspläne des französischen Präsidenten gehen weiter als bisher angenommen / Verfassungsrat kassiert Paragraf des Ausnahmegesetzes

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Was Bürgerrechtsverbände schon seit vielen Monaten angeprangert haben, wurde am Freitag vom Verfassungsrat offiziell bestätigt: Das aus dem Ausnahmezustand abgeleitete Demonstrationsverbot ist unvereinbar mit dem Grundgesetz. Es darf nicht mehr angewendet werden. Die Regierung wird aufgefordert, dies bis zum 15. Juli bei der Formulierung ihrer Beschlussvorlage zu berücksichtigen. Mitte Juli läuft die fünfte Verlängerung des im November 2015 verhängten Ausnahmezustands aus; das Parlament soll dann über eine neuerliche Verlängerung bis Anfang November entscheiden.

Mehrere Bürger hatten beim Verfassungsrat Klage eingereicht, weil ihnen unter Hinweis auf den Ausnahmezustand die Teilnahme an Demonstrationen verboten worden war. Die «Weisen» haben jetzt entschieden, einen Paragrafen im 1955 beschlossenen Gesetz über den Ausnahmezustand, mit Wirkung zum 15. Juli zu annullieren. Laut dem Paragrafen ist es Behörden gestattet, «Personen, die dem Handeln der Staatsmacht entgegenzuwirken trachten, den Aufenthalt zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten zu verbieten.

Wie Amnesty International Frankreich dokumentierte, haben die Sicherheitskräfte den Ausnahmezustand nach dem Terrorakt im Pariser Konzertsaal Bataclan zum Vorwand genommen, um insgesamt 155 Demonstrationen zu verbieten. In einigen Fällen galt dies der Absicherung des Pariser Klimagipfels vom Dezember 2015, doch die meisten der verbotenen Proteste richteten sich 2016 gegen die Arbeitsrechtsreform.

Der jetzt kassierte Paragraf wurde individuell gegen 639 Personen ins Feld geführt, um ihnen den Aufenthalt in bestimmten Arrondissements und Straßen von Paris zu verbieten, wenn dort Demonstrationen stattfinden sollten. Den Sicherheitsbehörden zufolge sollen so gewalttätige Ausschreitungen verhindert werden. Amnesty International konnte jedoch nachweisen, dass fast alle diese Personen keinesfalls überführte Gewalttäter waren, sondern dass sie meist nur zuvor an Demonstrationen teilgenommen hatten, an deren Rand es zu Ausschreitungen gekommen war.

Amnesty International, die Liga für Menschenrechte und andere Bürgerrechtsorganisationen hatten wiederholt kritisiert, dass man »lieber unter Missbrauch des Ausnahmezustands vorbeugend Demonstranten in ihren Rechten beschnitten hat, als offensiv gegen tatsächliche Gewalttäter vorzugehen«.

Im Präsidentschaftswahlkampf hatte Emmanuel Macron mehrmals erklärt, dass »der Ausnahmezustand kein Dauerzustand werden soll«. Er will ihn spätestens Anfang November auslaufen lassen und durch ein bis dahin zu verabschiedendes Sicherheitsgesetz ersetzen. Dass damit einige Maßnahmen des Ausnahmezustands dauerhaft in geltendes Recht überführt werden sollen, hatte Macron schon eingeräumt. Doch der Gesetzentwurf, der derzeit zur Prüfung beim Staatsrat, dem höchsten Verwaltungsgericht, liegt, geht weit über das hinaus, was nach Äußerungen Macrons bis dato zu erwarten war. Das berichtet die Zeitung »Le Monde«, der der Entwurf zugespielt worden ist.

So soll im Interesse des Kampfes gegen den Terrorismus das Innenministerium ermächtigt werden, verdächtige Personen zum Tragen einer elektronischen Fußfessel zu zwingen. Diese Maßnahme hatte schon der Ausnahmezustand vorgesehen, aber sie wurde bisher noch nie angewendet. Vom Ausnahmezustand übernommen werden auch Hausdurchsuchungen bei Tag und Nacht sowie die Verhängung von Hausarrest ohne richterliche Entscheidung und das Recht der Behörden, religiöse Kultstätten schließen zu lassen.

Damit finden sich fast alle Maßnahmen des Ausnahmezustands in dem Entwurf des neuen Gesetzes wieder. Hinzu kommt die Verpflichtung, auf Aufforderung der Polizei den Code für die eigene elektronische Kommunikation offenzulegen. Das war schon einmal 2016 gegenüber Rückkehrern aus Syrien geplant gewesen, dann aber fallen gelassen worden, weil es einigen Rechtsexperten zufolge gegen das Grundrecht verstoßen würde, sich nicht selbst belasten zu müssen.

Wie sehr Präsident Emmanuel Macron die innere Sicherheit in Frankreich zur »Chefsache« machen will, davon zeugt auch seine am vergangenen Mittwoch gefällte Entscheidung, im Elysée-Palast nach US-amerikanischem Vorbild eine ihm direkt unterstehende »Task Force« einzusetzen. Dieses Nationale Zentrum für Terrorbekämpfung wird vom ehemaligen Inlandsgeheimdienstchef Pierre de Bousquet de Florian geleitet, umfasst rund 20 Anti-Terror-Spezialisten und soll die entsprechenden Aktivitäten von Polizei und Gendarmerie, weiterer Sicherheitsorgane sowie der Inlands- und Auslandsgeheimdienste koordinieren.

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