Zahnlücke und Traueraugen

Carlo Ljubek im ARD-Drama »Atempause«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Leben ist unberechenbar. Immer dann, wenn es bunt erscheint und schön und lebenswert, droht garantiert der nächste Abgrund, auf den der Mensch erst zornig reagiert, dann traurig wird oder sich einfach nur leer fühlt, oft alles in schneller Abfolge. Solche Gefühlsschwankungen plausibel zu machen, ist die edelste Aufgabe des Schauspielers. Ein guter verhilft Regungen jeder Art dabei zu großer Glaubwürdigkeit. Einer besserer sorgt dafür, dass die Übergänge unsichtbar bleiben.

Carlo Ljubek ist einer der besten. Im ARD-Film »Atempause« spielt, nein, ist er der Tischler Frank, nicht superglücklich, aber zufrieden. Bis sein Sohn beim Sport umkippt und nie mehr aufsteht: hirntot. Wie seine Frau Esther - fantastisch dargestellt von Katharina Schubert - ist Frank hin und her gerissen zwischen Fatalismus, Glauben und Organspendeantrag. Diesen Kampf setzt Aelrun Goette wie gewohnt schonungslos in Szene, bis dem Publikum ganz flau im Magen wird vor Realismus. Licht am Horizont? Nirgends! Hoffnung gibt’s nur im Zwischenmenschlichen. Und hier kommt Carlo Ljubek ins Spiel.

Er schwankt - oft allein mit der Kraft dieser umwerfend traurigen Augen - so virtuos zwischen Trostlosigkeit und Trotz, als wäre er leibhaftig Vater eines todgeweihten Kindes. Zugleich aber wahrt er jene Distanz zur ausweglosen Lage. Dieses Talent hat ihn von München bis Berlin auch an die renommiertesten Theater geführt. »Die Suche nach Bildern, Metaphern, einer Überhöhung von Form ist am Theater besonders interessant«, erklärt er die Ambivalenz seiner Bühnenpräsenz.

Beim Gespräch im Hamburger Schauspielhaus, wo er seit 2013 im Ensemble ist, wirkt der 41-Jährige allerdings eher wie eine seiner Filmfiguren: unprätentiös, bescheiden, zugleich aber sehr intensiv. Während sein entfesseltes Spiel vor Publikum häufig dem Wahnsinn nahe ist, zeigt es sich vor der Kamera gern als Anker der Wirklichkeit im Meer des Irrsinns. Es ist die Paraderolle des kroatischen Rheinländers. Gerade hat er sie im ZDF-Thriller »Im Tunnel« gespielt, wo Ljubek als Mann einer psychotischen Verschwörungstheoretikerin die Grenzen von Empathie und Skepsis auslotet. Verkehrte Welt: Während er am Theater etwas suche, »das ganz bei mir ist«, versucht er sich im Film, »den emotionalen Grenzerfahrungen zu nähern«.

Solche Sätze muss ein Profi mit dem Anspruch, variabel wie wiedererkennbar zu sein, wohl sagen. Das Rampenlicht braucht Marketing und Marketing das Rampenlicht. Aber bei Carlo Ljubek klingen sie irgendwie einleuchtend, überzeugender jedenfalls als bei vielen seiner Kollegen. Vielleicht liegt das ein wenig daran, wie sympathisch der Familienvater hinter der Fassade eines der schönsten Männer im Metier ist; vielleicht hat es aber auch mit einem Portfolio zu tun, das für die Vielschichtigkeit allen Anspruch, nun ja - schon mal Anspruch sein lässt.

Um im lukrativen Flatscreen-Fernsehen Fuß zu fassen, hat das Gastarbeiterkind aus Bocholt auch mal eher optisches als inhaltliches Fernsehen gemacht, den Mittelalterquatsch »Die Pilgerin« etwa oder einen Schweiger-»Tatort« mit viel Wumms, aber wenig Niveau. »Über Projekte zu reden, die ich besser nicht gemacht hätte«, sei in einem Gewerbe voller Schauspieler, die sich regelmäßig beim Arbeitsamt melden, heikel. Aber manchmal, beim Lachen zeigt Carlo Ljubek die jungenhafte Lücke zwischen den Schneidezähnen, »darf es auch einfach nur Spaß machen«. Den muss man sich leisten können. Und Carlo Ljubek - so gut läuft es bei ihm - kann das.

ARD, 20.15 Uhr

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