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Haft für Feuerattacke

21-Jähriger wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 4 Min.

Weil er ein brennendes Taschentuch in die Tasche eines schlafenden Obdachlosen geworfen hat, ist ein 21-Jähriger zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Das Berliner Landgericht entsprach am Dienstag nicht dem Antrag der Staatsanwaltschaft, Nour N. wegen versuchten Mordes zu verurteilen. Stattdessen sprach die Richterin Regina Alex den aus Syrien geflüchteten Mann wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung schuldig.

Der Verteidiger des einzigen zur Tatzeit bereits erwachsenen Verdächtigen hatte zuvor darauf plädiert, Nour N. wegen einfacher Körperverletzung zu maximal zwei Jahren Haft auf Bewährung zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft hingegen hatte am Freitag auf versuchten Mord plädiert und eine Gefängnisstrafe von vier Jahren gefordert.

Die Mitangeklagten wurden weitaus milder verurteilt: Drei Jugendliche im Alter von 17 und 18 Jahren wurden wegen Beihilfe zu Jugendstrafen von jeweils acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Zwei weitere Angeklagte im Alter von 16 und 19 Jahren bekamen wegen unterlassener Hilfeleistung jeweils vier Wochen Arrest und müssen gemeinnützige Arbeit leisten. Ihre Verteidiger hatten auf Freispruch beziehungsweise unterlassene Hilfeleistung plädiert, die mit der fast sechsmonatigen Untersuchungshaft bereits abgebüßt sei.

In ihrer Verteidigungsstrategie wichen die Anwälte teils stark voneinander ab. So beurteilten sie die Videoaufnahmen einer Überwachungskamera aus dem Kreuzberger U-Bahnhof Schönleinstraße unterschiedlich. Zwei Verteidiger begrüßten die Aufnahmen: Sie würden die Einlassungen ihrer Mandanten nicht widerlegen. Verteidiger Hans-Joachim Henzel sagte hingegen: »Wer denkt, dass Bilder eindeutig sind, kann hier fehlgehen.« So könne man nicht in die Köpfe der Beschuldigten schauen und auf deren Motive schließen.

Auch den Altersunterschied bewerteten die Anwälte unterschiedlich. So plädierte der Verteidiger N.s, trotz Volljährigkeit dafür, das Jugendstrafrecht anzuwenden: »Bei manchen wächst der Kopf weniger schnell mit als der Körper«, sagte der Verteidiger in Bezug auf seinen Mandanten. »Herr N. ist nicht einen Millimeter weiter als die anderen.« Der Verteidiger des damals 15-jährigen Bashar K. sagte hingegen, der Altersunterschied sei »eine Diskrepanz« und Beleg dafür, dass es sich bei den Verdächtigen um eine »sehr lose Gruppe« handle.

Die Verteidiger lobten, der Prozess sei sachlich verlaufen - gerade in Bezug auf die Herkunft der Tatverdächtigen. In ihren Plädoyers betonten sie selbst Fluchthintergrund und Rassismus. So las der Verteidiger von Ayman S. eine E-Mail vor, die er am Dienstagmorgen erhalten hatte. Der Schreiber forderte, S. nach Syrien abzuschieben. »Für so ein Arschloch muss ich keine Steuern zahlen.« Auch der Verteidiger von Bashar K. verwies darauf, dass dessen Vater im syrischen Gefängnis gestorben sei. Er verurteilte indirekt den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten: »Ich mag konservativ sein, aber warum ist ein 15-Jähriger mitten in der Nacht unterwegs?«

Einig waren sich die Verteidiger auch darin, die Verhöre der Mordkommission zu kritisieren, die die Jugendlichen ohne Anwälte und ohne Aufklärung über deren Rechte vernommen hätte. So charakterisierte Verteidiger Alexander Wendt die Aussagen des Polizisten vor Gericht als »vorbehaltlosen Belastungseifer«. Zudem hätten die Polizisten auf der Wache suggestive Fragen gestellt, zum Beispiel, wie der Obdachlose angezündet worden sei. Verteidiger Alexander Papst sagte: »Es sind noch nicht einmal Belehrungsbögen speziell für Jugendliche vorhanden.« Anwalt Ingmar Pauli forderte, Verhöre auf Video aufzuzeichnen. Dagegen würde sich die Polizei sperren.

Auch die Rolle der Presse wurde kritisiert. Die Berichte, die in den Tagen nach der Tat im vergangenen Dezember davon berichteten, ein Obdachloser sei angezündet worden, sei »an den Angeklagten nicht spurlos vorübergegangen«, so Verteidiger Alexander Wendt. Damit erklärte der Verteidiger auch die Irritation zu Beginn des Prozesses, als der Angeklagte N. weder sein Geburtsdatum noch seine Anschrift korrekt wiedergeben konnte. Verteidiger Pabst kritisierte die »einseitige Berichterstattung«, die »Leute an den Pranger stellt« und »Strafen fordert, die nicht in Frage kommen«. Zudem seien die Fahndungsfotos zur Illustration der Artikel verwendet worden.

Zweimal zogen die Verteidiger Vergleiche zum sogenannten »Raser-Urteil«: Im Februar waren zwei Männer des Mordes schuldig gesprochen worden, weil sie mit überhöhter Geschwindigkeit den Tod eines Mannes billigend in Kauf genommen hatten. »Da ist viel Fluss in der Thematik des Tötungsvorsatzes«, so Wendt. Die Verteidiger appellierten an die Richterin, dem öffentlichen Druck standzuhalten. Denn: »Dämlichkeit ist kein Mordmotiv«, so Wendt. Schon im Laufe des Prozesses war klar geworden, dass die Strafkammer dem Antrag der Staatsanwaltschaft nicht folgen wird und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie unterlassener Hilfeleistung urteilen will. Zuletzt waren fünf der sechs Angeklagten am vergangenen Freitag aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Bereits Mitte Mai war ein siebter Jugendlicher im selben Fall wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt worden. Gegen den 17-Jährigen waren zwei Wochen Jugendarrest verhängt worden, die Verbüßung sei mit seiner Zeit in Untersuchungshaft bereits abgegolten. Der aus Syrien stammende Flüchtling soll aber noch Freizeitarbeit ableisten. Das Urteil war unter Ausschluss der Öffentlichkeit verkündet worden.

Vier der Angeklagten wollten sich zum Abschluss des Verfahrens nicht noch einmal persönlich äußern. Zwei der Angeklagten entschuldigten sich. Der zur Haft verurteilte N. sagte auf Arabisch: »Ich möchte mich bei allen entschuldigen. Ich möchte, dass der Mann mir vergibt. Ich bereue zutiefst, was ich getan habe.«

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