Gangsterrapper mit Gewissen
Im Kino: Benny Booms Biopic »All Eyez on Me« widmet sich dem widersprüchlichen Leben des Musikers Tupac Shakur
Was macht eine künstlerische Legende aus? Unter anderem, dass sie selbst nach ihrem Tod in der Öffentlichkeit permanent präsent ist. Eigentlich wurde der US-Rapper Tupac Shakur im September 1996 von Unbekannten bei einem »Drive-By« erschossen. 2017, mehr als 20 Jahre und sechs posthum veröffentlichte Studioalben später, findet sich der Name dennoch regelmäßig in Nachrichtenspalten und auf Häuserwänden wieder. Erst im April beispielsweise nahm die Rock ‘n‘ Roll-Hall of Fame Tupac als ersten Solo-Rapper in ihre Reihen auf. Steve McQueen, der britische Regisseur des prämierten Films »12 Years a Slave«, kündigte Anfang Mai an, eine »wahrheitsgetreue« Dokumentation über die Ikone zu drehen. Mitte des Monats gab ein US-amerikanischer Kabelsender die Serie »Unsolved« über die Todesumstände des Musikers in Auftrag. Und der Schauspieler Mickey Rourke stritt sich erst kürzlich in sozialen Netzwerken mit einem Rapper, wer denn nun wirklich Tupac erschossen habe. Das waren wohlgemerkt lediglich die Ereignisse des vergangenen Monats. Die Debatten, Verschwörungstheorien und Verkäufe werden mit großer Sicherheit weitergehen. Vor allem, da nun der von vielen Fans sehnlichst erwartete Film »All Eyez on Me« in den Kinos anläuft.
Die Biografien von Rap-Künstlern auf die Leinwände zu bringen, ist seit einigen Jahren populär. Nach »8 Mile« über Eminem, »Notorious« über Biggie Smalls und »Straight Outta Compton« über die Combo N.W.A. schien es nur eine Frage der Zeit, bis sich Hollywood einem der einflussreichsten schwarzen Musiker der 1990er Jahre widmen würde. Tupac hatte schließlich über 75 Millionen Tonträger verkauft und galt nicht wenigen schwarzen Männern als Stimme seiner Generation. Doch bis zur Fertigstellung von »All Eyez on Me« war es ein langer Weg. 2011 sollten die Arbeiten beginnen, aber die Produktionsfirma geriet schnell in einen juristischen Streit mit Shakurs Mutter Afeni. Verschiedene Regisseure gaben sich danach die Klinke in die Hand, darunter auch John Singleton, der in »Poetic Justice« 1993 bereits mit Tupac zusammengearbeitet hatte. Nachdem das Projekt für mehrere Jahre aufgrund künstlerischer Differenzen und diverser Prozesse auf der Kippe stand, übernahm Benny Boom das Ruder. Der Regisseur war bisher hauptsächlich durch das Drehen von Musikvideos aufgefallen. Die Geschichte erzählt er dementsprechend rasant, Rap-Songs begleiten die Szenen.
Doch auch an der gesellschaftspolitischen Einordnung wird nicht gespart: Das erste Drittel des Films setzt sich detailliert mit der Kindheit und Jugend des nach einem südamerikanischen Freiheitskämpfer benannten Künstlers auseinander. Die aufgewühlte Atmosphäre der 1970er Jahre prägt die Bilder. In einer Anfangsszene sieht man das schwangere Black-Panther-Mitglied Afeni mitsamt ihrer schwarzgekleideten Entourage aus einem Gerichtssaal kommen. Sie soll in New York Bomben gelegt haben, das Gericht spricht sie jedoch frei. Zahlreichen Kameras brüllt sie entgegen: »Ich kämpfe gegen Rassismus, Faschismus und Imperialismus - und habe gewonnen.« Später hört Tupac als kleiner Junge von seinem Stiefvater, dem militanten Aktivisten Mutulu Shakur, Ansprachen über die Notwendigkeit der Revolution. Doch schon bald verlässt ihn dieses Vorbild. Die Polizei stürmt zu Weihnachten mit einem Rammbock die Wohnung, Mutulu wird wegen eines Banküberfalls zu 60 Jahren Haft verurteilt. »Er war eine Gefahr für das System«, erklärt die vor Wut bebende Mutter dem überforderten Sohn. Der Rest der Familie zieht nach Baltimore. In der Ostküstenstadt geht Tupac auf eine privilegierte bürgerliche Schule, wo er in Theaterstücken Shakespeare rezitieren kann. Polizeigewalt erlebt er als schwarzer Jugendlicher trotzdem - noch trägt er aber ein Peace-Zeichen an der Weste.
Nach einem erneuten Umzug in eine kalifornische Armutsgegend ändert sich vieles. Die resignierte Mutter nimmt Heroin, und Tupac kommt erstmals mit der Hip-Hop-Gruppe Digital Unterground in Kontakt. Seine Künstlerkarriere beginnt, Afeni warnt Tupac aber noch, »dass das System ihm die Werkzeuge geben wird, um sich selbst zu zerstören«. Einige Hits und Labelwechsel später ist der Rapper ein von halbnackten Frauen und Geldbündeln umgebener Goldkettenträger, der Kokspartys besucht und mit den Stars der Szene verkehrt. Einerseits schreibt er in dieser Phase Texte über minderjährige Frauen aus den Ghettos, die ungewollt schwanger werden, andererseits äußert er sich frauenverachtend und muss wegen sexueller Nötigung ins Gefängnis. Seine Mutter und seine Fans sehen in ihm vielleicht gerade wegen dieser vielseitigen Projektionsmöglichkeiten einen Anführer, »der auf dem Rücken eine Zielscheibe trägt«. Dass diese Angst nicht unbegründet ist, zeigt sich beispielsweise in einer Ansprache des Vizepräsidenten, der im Fernsehen vor Tupac warnt. Der Film behandelt in einem weiteren Komplex die Konflikte des Westküsten-Rappers mit seinem autoritären Plattenboss Suge Knight sowie den Wandel des ehemaligen Freundes und Ostküsten-Rappers Notorious B.I.G. zum Erzrivalen. Das tragische Ende kommt in schnellen Schritten.
Wie bei kaum einem anderen Künstler treffen in Tupac die eher reaktionäre Gangsterrap-Welt und eine sozial- und rassismuskritische Perspektive aufeinander. Seine Geschichte spiegelt so den kulturellen und politischen Wandel jener Zeit in den schwarzen Gemeinden wieder, aber auch die Macht des Hip-Hop. Dieser kann die bestehende Gewalt reproduzieren und doch gleichzeitig subversive Inhalte über die Popkultur verbreiten.
Im Film würde demnach eine stumpfe Glorifizierung des Bling-Bling-Lifestyles genau wie eine Mystifizierung des Künstlers als radikaler Aktivist eine Verzerrung bedeuten. Regisseur Boom hat dieses Dilemma gelöst, indem er Tupac einen Journalisten zur Seite stellt, der ihn im Gefängnis interviewt. Der Redakteur, der offenbar der schwarzen Bürgerrechtsbewegung nahesteht, stellt die Erzählungen des Rappers mehrmals in Frage. Auch im weiteren Verlauf des Films treten Figuren auf, die Tupac mit seinen vermeintlichen politischen Idealen konfrontieren. Ein spannender Versuch, diese Widersprüche auszuhalten.
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