Die Stille Straße ist immer noch da
Senioren aus Pankow feiern fünfjähriges Jubiläum der Besetzung ihres Clubs
An diese 112 Tage werden sie sich immer erinnern. »Es war ein gutes Gefühl, als wir damals mit unseren Matratzen in die Begegnungsstätte eingezogen sind«, sagt Peter Klotsche. Der 77-Jährige war einer von insgesamt sechs Senioren, die im Herbst 2012 aus Protest gegen die drohende Schließung, kurzerhand ihre Begegnungsstätte in der Stillen Straße 10 in Pankow besetzt hatten. »Es war damals eine Entscheidung mehr oder weniger aus dem Bauch heraus. Wir wollten einfach nicht klein beigeben und unsere Gemeinschaft so erhalten, wie sie war«, erinnert sich die 78-jährige Brigitte Klotsche. Das Ehepaar Klotsche hätte damals nie gedacht, dass sie und ihre Mitstreiter die Hausbesetzung über 100 Tage lang aufrechterhalten würden. Doch dieser lange Atem war nötig.
Erst nach überaus zähen Verhandlungen mit dem Bezirksamt, dem damaligen Betreiber der Senioreneinrichtung, und vielen Diskussionen in der Bezirksverordnetenversammlung, lenkte die Bezirksregierung schließlich ein. Wenn ein privater Träger die Begegnungsstätte übernimmt und die notwendigen Sanierungsmaßnahmen bezahlt, müsse die Stille Straße 10 nicht schließen. Die beispiellose Welle der Solidarität, die die widerständigen Rentner von Nachbarn, Politikern und Besuchern aus der ganzen Welt erfahren hatten, dürfte maßgeblich zur Entscheidung des Bezirksamts Pankow beigetragen haben.
Die Volkssolidarität übernahm im Oktober 2012 die Trägerschaft der Einrichtung. Die Senioren betreiben ihre Begegnungsstätte seither in Selbstverwaltung. Dafür haben sie einen Förderverein gegründet. Im März dieses Jahres haben sie einen neuen, siebenköpfigen Vorstand gewählt. »Die Kooperation mit der Volkssolidarität läuft problemlos. Wir sind ihr sehr dankbar für die Hilfe. Uns war immer wichtig, dass wir unsere Begegnungsstätte so führen können, wie wir es wollen«, sagt Eveline Lämmer. Die 63-Jährige gehörte zu den ersten Unterstützern der Besetzer. »Es waren harte Tage damals. Aber wir würden es wieder tun. Wir haben letztlich gewonnen. Wir sind immer noch da«, sagt Peter Klotsche.
Gemeinsam mit den fünf weiteren Ex-Besetzern bereiten die Klotsches momentan die Feierlichkeiten zum fünfjährigen Jubiläum ihrer Besetzungsaktion Ende Juni vor. Die ehemalige Vorstandsvorsitzende und das damalige Gesicht der Besetzer, Doris Syrbe, ist krankheitsbedingt nicht mehr aktiv. Sie wurde zur Ehrenvorsitzenden ernannt. Darüber hinaus hat sich in den fünf Jahren nach der erfolgreichen Besetzung gar nicht so viel geändert in der Stillen Straße 10. Die Schachgruppe trifft sich weiterhin immer donnerstags zur Partie, der Chor probt dienstags. Doch trotz aller Freude über den Fortbestand gibt es ein Problem: Die notwendigen Modernisierungsmaßnahmen konnten aufgrund des Alters des Hauses und mangelnder finanzieller Möglichkeiten nicht wie gedacht umgesetzt werden. Die Einrichtung ist nicht barrierefrei, die Installierung eines Lifts nicht möglich. Die Dachbalken sind morsch, in der oberen Etage dürfen sich aus Sicherheitsgründen nur maximal acht Leute gleichzeitig aufhalten. Kein dauerhaft tragbarer Zustand also für eine Senioreneinrichtung.
Die Volkssolidarität plant daher den Neubau eines sozialen Zentrums, in dem auch die Angebote der Stillen Straße 10 ihren Platz finden sollen. Das Haus soll auf einem Grundstück in der Tschaikowskistraße in der Nähe der Stillen Straße gebaut werden. Eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft soll das Grundstück vom Bund kaufen, die Volkssolidarität bekommt dann das Mietrecht dauerhaft zugesprochen. Sowohl der Bund als auch das Land Berlin und der Bezirk haben ihre Unterstützung für die Pläne zugesichert. Nur: Passiert ist bisher nichts.
Einen Zeitplan, wie es ab dem Verkauf des Grundstücks weiter geht, gibt es nicht. Das ärgert die Senioren. »Wir werden hingehalten und haben keine Ahnung, wann es möglich sein wird, in die neue Begegnungsstätte einzuziehen. Wir wollen endlich verbindliche Antworten«, sagt Lämmer. Wann es diese Antworten gibt, ist noch unklar. Für Ex-Besetzer Peter Klotsche ist aber in jedem Fall klar: »Wenn es zu dem Umzug in das soziale Zentrum kommt, geht für uns ein Lebensabschnitt zu Ende.« Natürlich werde er auch ein bisschen traurig sein. An der Stillen Straße 10 hängen viele Erinnerungen. Der Rentner ist aber überzeugt: »Ein Neuanfang tut Not. Wir machen das Ganze ja nicht für uns, sondern auch für nachfolgende Generationen.«
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