»Sozialer und friedlicher als seine Nachfolger«

Weltweit wird Helmut Kohl als Europäer und Kanzler der Einheit gewürdigt. Die Linkspartei nutzt ihren Nachruf zur Kritik an Schröder und Merkel

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Einen Staatsakt für einen verstorbenen Politiker auf europäischer Ebene - das hat es bisher nicht gegeben. Helmut Kohl könnte diese Würdigung nun zuteil werden. Der von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angeregte Premiere soll binnen zwei Wochen stattfinden. Einzelheiten sind noch offen, was aber die Boulevardpresse nicht davon abhielt, bereits zu spekulieren, dass der Leichnam des Altkanzlers nach dem EU-Staatsakt mit dem Schiff über den Rhein zu einer Totenmesse nach Speyer überführt werden könnte. Bereits unmittelbar nach der Nachricht vom Tode Kohls hatten sich Politiker aller Parteien zu Wort gemeldet. »Großer Europäer« und »Kanzler der Einheit« - so lauteten in aller Regel die Zuschreibungen, mit denen Kohl gewürdigt wurde. Angela Merkel, die mit dem Vorgänger an der CDU-Spitze keineswegs immer einer Meinung war, erfuhr auf einer Reise zum Papst vom Ableben des Altkanzlers. Mit Blick auf die Wende von 1989 sagte die gebürtige Ostdeutsche, wie Kohl nach dem Fall der Mauer die Gunst der Stunde genutzt habe, »das war höchste Staatskunst im Dienste der Menschen und des Friedens«.

Dass Merkel zudem erklärte, dass Kohl »auch meinen Lebensweg entscheidend verändert« habe, wird man vor allem in der Union aufmerksam verfolgt haben. Nicht alle CDU-Granden waren mit der Art und Weise einverstanden, mit der sich Merkel im Zuge der Spendenaffäre über die alten Eliten in der Partei hinwegsetzte.

Auch der Papst würdigte Kohl: »Die Nachricht vom Heimgang des Bundeskanzlers« habe ihn »tief bewegt«, sagte das Kirchenoberhaupt - und schloss an, er bekunde nicht nur der Familie, sondern »dem ganzen deutschen Volk, das um den Kanzler der Einheit trauert«, seine Anteilnahme.

Hierzulande glichen sich die Erklärungen in weiten Zügen bis aufs Wort. SPD-Chef Martin Schulz schrieb in einem Gastbeitrag, Kohl habe »die europäische Einigung mit einer Energie und Überzeugungskraft vorangetrieben, wie nur ganz wenige andere Staatsmänner«. Auch die Spitzen der Linkspartei erinnerten vor allem an Kohls prägenden Einfluss auf EU-Integration und deutsche Einheit, betonten aber, er hinterlasse ein »widersprüchliches Erbe«. Die Vorsitzenden von Bundestagsfraktion und Partei, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping und Bernd Riexinger, nannten den Altkanzler einen »überzeugten Europäer« - verwiesen jedoch auch darauf, dass seine EU-Politik »zugleich mit der Fehlkonstruktion der Währungsunion eine Entwicklung einleitete, die Europa heute in seine tiefste Krise bringt«. Dies sei aber von Kohl nicht so beabsichtigt gewesen.

Mit Blick auf die Rolle Kohls im Wendeherbst 1989 und bei der darauffolgenden Vereinigung heißt es, Kohl habe »die deutsche Einheit zu seinem Anliegen gemacht, wenn auch die wirtschaftlichen Weichenstellungen zu großen sozialen Verwerfungen in Ostdeutschland führten«. Dabei habe der Langzeitregierungschef aber »die soziale Spaltung des Landes nie so groß werden lassen wie seine Nachfolger und es vermieden, die Bundesrepublik in militärische Abenteuer zu stürzen« - ein Kritik vor allem an der ab 1998 regierenden rot-grünen Koalition. Zur Rolle Kohls in der Spendenaffäre äußerten sich die Linkenspitzen nicht. Der Präsident der Europäischen Linkspartei, Gregor Gysi erklärte, »trotz unterschiedlicher politischer Auffassungen muss auch ich die Verdienste betonen«. Kohls »Leitbild war ein europäisches Deutschland, kein deutsches Europa«.

Auch weltweit wurde der Tod Kohls bedauert. Italiens früherer Ministerpräsident Matteo Renzi nannte den Altkanzler einen Giganten. Dass US-Präsident Donald Trump sich erst vergleichsweise spät überhaupt zu Wort meldete, wurde aufmerksam registriert. Seite 15

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.