»Identitäre« nach Hause geschickt

Tausende Nazigegner protestieren gegen rechtsextremem Aufmarsch

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach nicht einmal einem Kilometer ging gar nichts mehr: Mit einer Sitzblockade stoppten rund 1400 Menschen einen Aufmarsch der rechtsextremen »Identitären Bewegung« am Samstagnachmittag in Wedding. Die Gegendemonstranten waren einem Aufruf des aus linken Gruppen, Parteien und zivilgesellschaftlichen Initiativen bestehenden »Berliner Bündnis gegen Rechts« gefolgt. Bündnissprecher Aron Bruckmiller sagte: »Das war ein toller Tag und ein Sieg für alle Antifaschisten. Berlin ist besser ohne Nazis.«

Etwa 600 Anhänger der »Identitären Bewegung« hatten sich gegen 15 Uhr am Bahnhof Gesundbrunnen versammelt. Während ihrer Auftaktkundgebung schwenkten sie schwarz-gelbe Flaggen und skandierten Parolen wie »Heimat, Freiheit, Tradition« und »Grenzen dicht«. Von Gesundbrunnen sollte der Demonstrationszug unter dem Motto »Zukunft Europa - Für die Verteidigung unserer Identität, Kultur und Lebensweise« über die Brunnenstraße und Invalidenstraße bis zum Hauptbahnhof führen. Die NPD und der Berliner Ableger der Pegida-Bewegung hatten den Demonstrationsaufruf unterstützt. Pegida-Gründer Lutz Bachmann war unter den Demonstranten. Die Rechtsextremen wollten unter anderem an der Mauer-Gedenkstätte in der Bernauer Straße vorbeiziehen.

Weder dort noch am Hauptbahnhof sollten sie ankommen. Schon in der Brunnenstraße stellten sich ihnen die Gegendemonstranten unter »Nazis raus«-Rufen in den Weg. Teilnehmer der Protestaktion trugen Plakate mit Aufschriften wie »Solidarität statt rechte Hetze« und »Den Identitären den Sommer verhageln«. Trotz Versuchen der Polizei, die Blockade durch das Wegtragen von Personen aufzulösen, gelang es ihnen nicht, die Straße frei zu räumen. Bei den Räumungsversuchen kam es vereinzelt zu Handgreiflichkeiten und zum Einsatz von Pfefferspray. Die Stimmung war angespannt, eine größere Eskalation blieb aber aus. Insgesamt wurden 112 Personen festgenommen, 74 Strafermittlungsverfahren eingeleitet, so die Polizei.

Nach drei Stunden lösten die »Identitären« ihre Demonstration offiziell auf und traten den Rückzug in Richtung Bahnhof Gesundbrunnen an. Dass die Demonstration nicht wie geplant durchgeführt werden konnte, sei für die Rechtsextremen ein herber Rückschlag, so Bruckmiller. »Es sollte die erste große Demonstration der ›Identitären‹ in Deutschland werden. Ihr rassistisches, antifeministisches und menschenverachtendes Gedankengut hat hier keinen Platz.«

Bereits am Vormittag hatte das »Bündnis gegen Rechts« zu einer antifaschistischen Demonstration vom Leopoldplatz durch den Brunnenkiez zur Bernauer Straße aufgerufen. Rund 1000 Menschen waren gekommen. Künstler und Kulturschaffende hatten am Molkenmarkt in Mitte unter dem Motto »Gegen Nazis Glanz« zum Protest gegen den rechtsextremen Aufmarsch mobilisiert. Kleinere antifaschistische Demonstrationen führten vom Bersarinplatz in Friedrichshain zum Alexanderplatz, vom Wittenbergplatz in der City West zum Bahnhof Tiergarten und vom Bahnhof Friedrichstraße zum Brandenburger Tor. Nach Angaben der Veranstalter beteiligten sich insgesamt etwa 4000 Menschen an den Protesten. Rund 1000 Polizisten aus Berlin und anderen Bundesländern waren im Einsatz.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte den Aufmarsch der »Identitären« verurteilt. »Die ›Identitären‹ sind keine Bewegung, sie sind eine extrem radikale und rassistische Minderheit«, hatte der Politiker erklärt und alle Demokraten zum friedlichen Protest für Vielfalt und Offenheit aufgerufen. Auch Grüne und LINKE hatten zu den Aktionen gegen den Aufmarsch mobilisiert.

Die in Frankreich als Internetphänomen entstandene »Identitäre Bewegung« wird wegen ihrer nationalistischen Ideologe vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie tritt unter anderem für ein »Europa der Völker« ein und fordert ein Ende der multikulturellen Gesellschaften. Mit medienwirksamen Aktionen hatten die »Identitären« zuletzt auch in Berlin versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Dazu gehörte die Besetzung des Brandenburger Tors im August 2016 und die versuchte Erstürmung des Dienstgebäudes von Justizminister Maas im Mai. Gegen 55 Rechtsextreme laufen deswegen Ermittlungen wegen Hausfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.

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