Entwicklungshilfe für Rüstungskonzerne

Kurz vor Toresschluss bestellt Schwarz-Rot für über 16 Milliarden Euro Waffen und Gerät

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Es geht um ein neues Kommunikationssystem für das Heer und die Streitkräftebasis, das alle Kommandostufen vom einfachen Panzergrenadier bis zum Brigadestab sowie die Masse der Gefechtsfahrzeuge einbezieht. Es geht um fünf neue Korvetten, mit denen die Deutsche Marine an fernen Küsten Präsenz zeigen kann. Gleiche Ziele werden die neuen U-Boote ansteuern. Aufgerufen sind Kampfdrohnen sowie Tank- und Transportflugzeuge. Dazu geht es um Updates für Gefechtstransporter und den Schützenpanzer »Puma«. Weiter kommt allerlei »Kleinkram« - wie neue Transport- und Mobilkranfahrzeuge, die Beschaffung neuer LUNA-Drohnen, die Umrüstung von Kampfhubschraubern sowie der Kauf von Lenkraketen und jede Menge andere Munition - auf den Tisch.

Rund 30 Beschaffungsvorlagen sind eingereicht. Addiert man deren Kosten, kommt man auf 16 Milliarden Euro. Der Haushaltsexperte der Grünen-Fraktion Tobias Lindner ist fassungslos: »In meinen sechs Jahren im Haushaltsausschuss haben wir noch nie in einer einzelnen Sitzung über so eine Vielzahl an Beschaffungsvorlagen beraten«, empört er sich gegenüber »nd«.

Die meisten dieser Rüstungsprojekte lagen schon mehrfach auf dem Tisch der Parlamentarier - um dann wieder in Regierungsschubladen zu verschwinden. Warum? Die SPD, so witzelte man in den Bundestagsgängen, sei nach ihren Landtagsniederlagen zur Friedenspartei geworden. Da macht es sich nicht gut, wenn die Schulz-Partei das bislang gigantischste Rüstungsprogramm mitträgt.

Doch nun wird den Sozialdemokraten nichts anderes übrigbleiben. Noch zwei Wochen, dann verabschiedet sich das Parlament in die Sommerferien. Anschließend werden ein neuer Bundestag gewählt und die künftige Regierung bestimmt. Eile ist also geboten. Zudem nimmt niemand der SPD ihre Rüstungsabstinenz ab. Einige der zur Bestätigung vorgelegten Rüstungsprojekte sind sogar Herzensangelegenheiten führender Sozialdemokraten. Beispiel K-130.

Fünf Korvetten hat die Marine. Die erste wurde 2008, die letzte 2013 in Dienst gestellt. Nach Jahren extrem teurer Nacharbeiten schwimmen die Kriegsschiffe jetzt immerhin problemlos. Auch wenn noch nicht alle Waffensysteme an Bord sind. Nun soll ein 2. Los, also eine Folgeserie, gebaut werden. Abermals fünf Schiffe.

Normalerweise tragen die Korvetten Städtenamen wie »Braunschweig« oder »Erfurt«. Doch angesichts ihres unermüdlichen Einsatzes für den Bau weiterer Schiffe, sollte man zwei der neuen Korvetten auf die Namen »Johannes Kahrs« und »Eckardt Rehberg« taufen. Die beiden Bundestagshaushälter von SPD und CDU - Kahrs ist zudem Mitglied im Verteidigungsausschuss - haben sich bei der Planung des 2. Korvettenloses große Verdienste zuschulden kommen lassen. Nicht ganz uneigennützig, denn die Wahlkreise der Abgeordneten sind im Norden, da wo die Werften liegen.

Bei den Kriegsschiffen waren einige Klippen zu umschiffen. Eigentlich sollte die Lürssen-Werft mit dem Bau beauftragt werden. Die Bremer Firma hat bereits gemeinsam mit Blohm+Voss in Hamburg und den Nordseewerken in Emden die ersten Korvetten gebaut. Schnell und unauffällig war das Ziel. Der neue Auftrag sollte daher nur eine Nachbestellung sein. Da sieht das Vergaberecht die Möglichkeit vor, von einer neuen Ausschreibung abzusehen. Doch dann trat die Konkurrenz auf den Plan und behauptete, bei den neuen Korvetten werde so viel verändert, dass eine Projektausschreibung notwendig sei. Das juristische Hin und Her ist jetzt beendet, eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE K-130) wird mit der Lieferung beauftragt.

Ursprünglich bezifferten Kahrs und Rehberg die Kosten für die Korvetten auf 1,5 Milliarden Euro. Im Moment liegen sie bei 1,989 Milliarden Euro. Ein Schnäppchen im Vergleich zu den 3,12 Milliarden Euro, die die ARGE ursprünglich verlangt hat. Doch diese Reduzierung wurde teuer erkauft.

Der Bundesrechnungshof erstellte ein geheimes Gutachten. Darin wird gerügt, dass man unter »hohem Zeitdruck« verhandelt hat, um dem Haushaltsausschuss des Parlaments »noch in dieser Legislaturperiode einen Vertragsentwurf vorlegen zu können«. Falsch sei, dass man auf einen Wettbewerb unter den Werften verzichtet habe. Mehrfach ist in dem Rechnungshofpapier zu lesen, das Angebot sei »überhöht« und »überteuert«. Die Risiken belasten »zum großen Teil den Bund«. Und: Durch die Monopolstellung des Auftragnehmers »konnten nicht die angestrebten Garantien, Gewährleistungen und Vertragsstrafen vereinbart werden«. Die Einkäufer hätten die eigenen rechtlichen Positionen geschwächt. Für eine Preisminderung von 151 Millionen Euro hat das zuständige Beschaffungsamt auf seine Prüfungsrechte verzichtet. Probleme sind programmiert, denn die Bundeswehr strich nicht nur »nicht zwingend benötigte Landanlagen« sondern auch Ersatzteillieferungen und logistische Leistungen im Wert von 129 Millionen Euro. Die Minderung beim Kaufpreis wurde erreicht, weil der Bund Aufgaben der Industrie übernommen hat. Es handelt sich unter anderem um sogenannte Beistellungsleistungen in Höhe von 190 Millionen Euro sowie um logistische Leistungen, die 80 Millionen Euro kosten.

Ähnliche kostspielige »Pannen« finden sich in allen Teilstreitkräften. Beim Heer betrifft es vor allem den »Puma«, der von den deutschen Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall entwickelt und produziert wird. Die ersten Serienfahrzeuge wurden im April 2015 an die Truppe geliefert. Wer sich die aktuellen Beschaffungsvorlagen anschaut, merkt auf Anhieb, dass sie vor allem Nachbesserungen am angeblich besten Schützenpanzer der Welt betreffen. Das vorab bejubelte Blechding hat mehr Probleme als Bauteile. In einem anderen geheimen Bericht des Rechnungshofes liest man etwas von »konzeptbedingten Einschränkungen« und »Qualitätsproblemen«. Das Heer kann den Panzer lediglich für einfachste Ausbildungsaufgaben verwenden. Die Nutzungsstufe 2 - es gibt insgesamt fünf solcher Stufen - erreiche man wohl frühestens 2022. Für einen Einsatz ist der »Puma« ganz und gar noch nicht reif. Was kein Grund zum Jubeln für Friedensfreunde ist, denn die Bundeswehr wird - um den NATO-Verpflichtungen nachkommen zu können - die alten »Marder« über das Jahr 2025 hinaus nutzen. Der Bundesrechnungshof jedenfalls rät dringend: »Die Bundeswehr sollte vorerst keine weiteren SPz PUMA (2. Los) beschaffen.« Das Verteidigungsministerium wird dem wohl kaum folgen. Denn man ist auf dem von der NATO beschlossenen Weg, zwei Prozent des Bruttosozialproduktes fürs Militär auszugeben.

Die sicherheitspolitischen Risiken für Europa und die Welt kann derzeit noch niemand berechnen. Eine andere, kaum minder skandalöse Rechnung stellte Michael Leutert, Haushälter der Linksfraktion, an. Er hat zu den rund 16,3 Milliarden Euro, die in dieser Woche für Rüstungsprojekte beschlossen werden, deren Nutzungs- und Folgekosten addiert. So werden aus 16 Milliarden Euro unversehens 23 Milliarden Euro. Das sind, so Leutert, rund 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. »Genau so viel will Deutschland seit Jahren für Entwicklungshilfe ausgeben und erreichte diesen Wert bisher noch nie«, empört er sich gegenüber »nd« und meint: »Woran dieses ›Unvermögen‹ liegt, ist wohl angesichts solcher schwarz-roten Freigiebigkeiten gegenüber Rheinmetall und anderen Rüstungsfirmen keine Frage.«

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