Macron, der stille Protest, das linke Lager

Klarer Sieg von La République en Marche, hinkende Vergleiche, Niedergang der Sozialdemokraten: ein Überblick über den Ausgang der Wahl in Frankreich

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Macrons Mehrheit

Der Ergebnis von Emmanuel Macrons La République en Marche und der verbündeten Zentrumspartei MoDem ist enorm - und zugleich weniger erdrückend als von manchen befürchtet. Nach den aktuell vorliegenden Zahlen erreicht der Präsident eine absolute Parlamentsmehrheit von 350 Mandaten bei insgesamt 577 Sitze. Die Schwelle für die absolute Mehrheit liegt bei 289 Sitzen. Die erreicht die noch neue Partei En Marche sogar allein. Es waren aber bessere Ergebnisse erwartet worden. Die Deutsche Presse-Agentur: »Das kann man auch als Zeichen des Misstrauens gegenüber Macrons Kurs sehen.« Hinzu kommt: Der Senat könnte sich querstellen, die zweite Parlamentskammer wird von der bürgerlichen Rechten dominiert und hat bei der Gesetzgebung mitzureden. Das Problem: Vor allem die Wirtschaftspläne von Macron werden in diesem politischen Lager durchaus positiv gesehen. Zudem bleibt die Nationalversammlung gegenüber dem Senat letztlich bestimmend.

Erzählungen und Reaktionen

Das Ergebnis der Wahl findet umgehend in rhetorischen Rastern seinen Niederschlag, die eine Bedeutung weitertragen sollen: Macron habe nun, so formuliert es die Deutsche Presse-Agentur, eine »komfortable Machtbasis für seine Reformen, mit denen er unter anderem Frankreichs Wirtschaft international wieder konkurrenzfähig machen will«. Das klingt positiv, blendet die sozialen Widersprüche der Pläne des neuen Präsidenten aber aus. Kanzlerin Angela Merkel gratulierte Macron. Die Agentur: »Beide wollen in der Europapolitik an einem Strang ziehen.« Nur: Wohin? Ist es wirklich dasselbe, wenn zwei Politiker sagen, sie würden Änderungen in der EU anstreben? Vor allem: Wenn eine davon die deutsche Regierungschefin ist? Sozialdemokraten beeilten sich auch, Macron zum Sieg seiner neuen Partei zu gratulieren. »Der Weg ist frei für Reformen«, frohlockte Außenminister Sigmar Gabriel. SPD-Chef Martin Schulz hatte auch eine Leerformel parat: »Europa bringen wir nur nach vorn mit PolitikerInnen, die gestalten wollen.«

Kleine Opposition

Macron, der stille Protest, das linke Lager

»Wir sind in Frankreich, nicht in Russland«, lautete eine Befürchtung des Linksparteivorsitzenden Jean-Luc Mélenchon von der Formation France Insoumise im Radio mit Blick auf Macrons Übermehrheit. »Wir werden weniger Vertreter der Opposition haben als es in Russland gibt.« Vergleiche hinken so oder so, aber insgesamt ist die Opposition mit mehr als 200 Abgeordneten deutlich größer, als es zwischenzeitlich erwartet worden war. Mélenchon verwies am Sonntagabend auf die historisch niedrige Wahlbeteiligung - und nannte diese einen »staatsbürgerlichen Generalstreik«.

Nichtwähler und Ungültige

Insgesamt gaben nur gut 20 Millionen der 47 Millionen registrierten Wähler überhaupt im zweiten Wahlgang die Stimme ab. Ein historischer Tiefstand. Das ist einerseits nicht ungewöhnlich, sorgt die Parlamentswahl in Frankreich doch traditionell für weniger Interesse als die Präsidentschaftsabstimmung. Zudem war ein klarer Sieg Macrons erwartet worden, die Konkurrenz wurde als weitgehend chancenlos betrachtet. Es gibt aber noch einen anderen Punkt: Zwei Millionen Stimmen wurden ungültig gemacht, man kann kaum davon ausgehen, dass dies eine »normale Quote« ist. Im ersten Wahlgang lag die Zahl der Ungültigen bei drei Millionen mehr abgegeben Stimmen nur bei rund 500.000. Die Übermacht von Macron hatte schon bei der entscheidenden Runde der Präsidentschaftswahl zu einer hohen Zahl von ungültigen Voten oder »blancs« geführt, die Zahl lag bei über vier Millionen, das sind mehr als zehn Prozent der gezählten Stimmen.

Das linke Lager

Blickt man hier auf die Parteien links der sozialdemokratischen Parti socialiste sieht es zunächst nach einem Aufschwung aus: Bei den Wahlen 2012 hatte die damalige Front de gauche im ersten Wahlgang knapp 1,8 Millionen Stimmen erzielt, im zweiten waren es dann noch knapp 250.000 Voten. Unter dem Strich kamen zehn Mandate heraus. Die Linksfront war von Melenchons Parti de Gauche und den Kommunisten der PCF gebildet worden. Vor den Wahlen am Sonntag wurde ein gemeinsamer Wahlantritt nicht vereinbart - dennoch konnte die Zustimmung gesteigert werden. Die Parti communiste français schaffte im zweiten Wahlgang 217.833 Stimmen, Melenchons FI erreichte 883.786 Voten. Unter dem Strich stehen zehn bzw. 17 Mandate. Zur Bildung einer Fraktion sind 15 Abgeordnete nötig. Ob die Linken zur Kooperation im Parlament finden, wird sich zeigen müssen. Im ersten Wahlgang erreichten Linksradikale Kandidaten rund 175.000 Stimmen, die linksliberale PRG kam auf etwas über 100.000 Voten.

Sozialdemokraten

Die sozialdemokratische Parti socialiste ist bei den Wahlen erwartungsgemäß implodiert - dies hatte sich bereits vor den Präsidentschaftswahlen angekündigt. Das ist nicht nur der Ausdruck des Scheiterns einer Partei, sondern Teil einer größeren Verschiebung: Über 30 Prozent stimmten für neue Parteiformationen, das politische System Frankreichs steckt in einem grundlegenden Übergang. Im ersten Wahlgang vor einer Woche erreichte die PS noch 1.685.781 Stimmen, am Sonntag nun nur noch 1.032.985 Voten. Unter dem Strich sind das 29 Sitze, und damit ein Anteil von fünf Prozent an der Gesamtzahl der Mandate. Zählt man noch die Verbündeten dazu, erreichen die Sozialdemokraten laut den vorliegenden Zahlen immer noch weniger als 40 Abgeordnete. Sie stellten bisher 277 in der Nationalversammlung. Das Establishment der Partei wurde praktisch hinweggefegt: Parteichef Jean-Christophe Cambadélis und Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon schieden schon im ersten Wahlgang aus, ebenso wie eine Reihe früherer Minister. Cambadélis nannte das Wählervotum »unmissverständlich« und kündigte seinen Rücktritt an. Der frühere sozialdemokratische Regierungschef Manuel Valls gewann in seinem Wahlkreis mit nur 139 Stimmen Vorsprung. Die unterlegene Kandidatin Farida Amrani von France Insoumise zweifelte umgehend das Ergebnis an und kündigte Beschwerde an.

Die Rechtsextremen

Der Front National wird künftig acht Abgeordnete stellen, unter ihnen auch die Oberrechtsradikale Marine Le Pen. Das sind deutlich mehr als die bisherigen zwei Sitze, aber auch deutlich unter den Zielsetzungen der Rechtsextremen. Im ersten Wahlgang war Le Pens Truppe nur auf 13,2 Prozent gekommen, frühere Regionalwahlen hatten schon Ergebnisse von an die 28 Prozent ergeben. Fast 1,6 Millionen Wahlberechtigte stimmten für den Front National, im ersten Wahlgang waren es noch fast 3 Millionen. Mit Agenturen

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