Neun Minuten, die nichts verändern werden
Queen Elizabeth II. verliest Theresa Mays kurze Regierungserklärung
»Schnell machen, das erste Pferderennen in Ascot fängt um 14.30 an!«, rief Labour-Routinier Denis Skinner seinen UnterhauskollegInnen und der Monarchin selbst zu, denn ohne die königliche Parade machen den oberen Zehntausend die modischen Galopprennen westlich von London keinen Spaß. Und Elizabeth II. gehorchte: In nur neun Minuten spulte sie die von Theresa Mays Beratern verfasste Rede ab.
Zuerst die schlechte Nachricht. Die nächsten zwei Jahre werden acht verschiedene Brexit-Vorlagen bringen. Zuallererst die »Große Aufhebungsvorlage«. Diese sollte laut dem eher konservativ gesinnten BBC-Reporter James Landale eigentlich »Große Kontinuitätsvorlage« heißen, weil sie die allermeisten EU-Rechtsakte in britisches Gesetz überführen soll. Damit soll nach dem EU-Austritt Chaos verhindert werden. Andere Gesetze sollen Migrations-, Zoll-, Landwirtschafts-, Fischerei-, Steuer-, Datenschutz- sowie Reaktorsicherheitsfragen betreffen.
Eigentlich sollte die feierliche Parlamentseröffnung bereits am Montag stattfinden. Doch wegen der anhaltenden Gespräche über die Regierungsbildung mit den evangelischen nordirischen Demokratischen Unionisten wurde der Termin um zwei Tage verschoben.
Die Queen verlas überdies, dass der Bau von Elektroautos subventioniert wird und Maßnahmen gegen den Terror ergriffen werden sollen. Ob die um 20 000 Stellen abgespeckte Polizei die von Labour geforderte Verstärkung bekommen soll, steht in den Sternen.
Viele der schlimmsten Schnitzer im konservativen Wahlmanifest fehlen jedoch, weil für sie keine Unterhausmehrheit vorhanden ist. Die Finanzierung der Altenpflege durch eine Demenzsteuer, die die Betroffenen zum Verkauf ihrer Wohnungen gezwungen hätte, ist verschwunden. Politisch war dies im Wahlkampf ein Rohrkrepierer, der die Regierenden viele Stimmen gekostet hat. Der Grundgedanke war jedoch die Generationengerechtigkeit, denn heute zahlen Jüngere, die einen Hauskauf nur mit Hilfe eines Lottereigewinns bezahlen könnten, die Kosten für Renten und Pflege von wohlhabenderen Älteren.
Neue Gymnasien, die die Ungleichheit im Schulwesen verschlimmert hätten, sollen nicht mehr gebaut werden, damit verschwindet Theresa Mays Lieblingsprojekt von der Bildfläche. Stattdessen soll es für technische Ausbildung mehr Geld geben - ohne Zweifel eine richtige Entscheidung, die von der Opposition begrüßt wird. Winterheizkostensubventionen für Ältere sollen nicht wie geplant abgeschafft werden, sondern weiterlaufen - es sterben noch immer prozentual mehr Rentner in den kalten Monaten als in anderen EU-Staaten mit ähnlichem Klima. Ein von einem unabhängigen Richter geleitete Kommission soll die Gründe der Grenfell Tower-Katastrophe von letzter Woche untersuchen. Aber reicht das für zwei lange Jahre?
Jonathan Freedland, Kolumnist des linksliberalen »Guardian«, bleibt skeptisch. Er moniert, dass die Austeritätspolitik, die gerade den Bedürftigsten soviel Elend gebracht hat, weiter fortgesetzt werden soll.
Zwar kritisierte Ministerin Andrea Leadsom in der BBC-Sendung The World at One den Gebrauch des unliebsamen Wortes, aber nicht die Sozialkürzungen für Einkommensschwache an sich. Dass Hunderttausende auf Tafeln angewiesen sind, ist im wohlhabenden Britannien ein Skandal. Laut Freedland gibt es in der Rede auch nichts, was der Jugend auch nur einen Funken Hoffnung bieten kann. Jugendliche haben vor zwei Wochen von ihrem Wahlrecht reichlichen Gebrauch gemacht, wie besiegte Tory-Abgeordnete in Canterbury, Portsmouth oder Brighton bezeugen können. Doch sollen die hohen Studiengebühren unter den Konservativen bestehen bleiben. Gegen die Wohnungsnot, gerade im sozialen Bereich, werden keine Schritte unternommen. Was Freedland verschweigt: Theresa Mays Tage sind gezählt, die zwei von der Thronrede abgedeckten Jahre wird sie kaum überstehen. Lehnt etwa die Mehrheit der Abgeordneten nach den nun folgenden Beratungen das Regierungsprogramm ab, stürzt die Regierung möglicherweise schon Ende des Monats.
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