Leak von Chat-Protokoll wird für AfD zum Desaster

Sachsen-Anhalt prüft Überwachung durch den Verfassungsschutz / Landeschef Poggenburg sieht sich nicht in der Veranwortung

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 6 Min.

Für die AfD könnte sich dieser Skandal drei Monate vor der Bundestagswahl zum politischen Super-GAU auswachsen: Nachdem Unbekannte auf der linken Internetplattform linksunten.indymedia.org Protokolle einer parteiinternen Whats-App-Gruppe mit dem Namen »AfD Info LSA« veröffentlicht haben, ist die Rechtsaußenpartei nun um Schadensbegrenzung bemüht. Zwar ist weiterhin unklar, ob die geleakten Chatverläufe in ihrer Gesamtheit unverfälscht sind, doch ein klares Dementi von Seiten der AfD Sachsen-Anhalt blieb auch drei Tage nach der Veröffentlichung aus.

Im Gegenteil ließ die Partei am Mittwoch sogar eine Chance verstreichen, sich zu verteidigen oder, sofern es auch nur geringsten Zweifel an der Echtheit geben würde, dem politischen Gegner eine Kampagne vorzuwerfen. Die Möglichkeit dazu hätte sich bei einer Debatte im Magdeburger Landtag ergeben. Eher zufällig hatten die Parlamentarier das Thema »Hasskommentare« auf ihrer Agenda stehen – eine passende Gelegenheit, um die AfD zur Rede zu stellen.

Doch deren Vertreter gaben sich schmallippig. So erklärte der Abgeordnete Robert Farle, er habe keine Zeit für »solchen Mist«. Fraktions- und Landeschef André Poggenburg wurde da zumindest etwas konkreter, räumte indirekt sogar die Echtheit des Chatprotokolls ein. Lediglich einzelne Passagen seien »nicht die Position der AfD«, so Poggenburg.

Ausdrücklich nicht gelte diese Feststellung für die von ihm selbst via WhatsApp geäußerte Kampfparole »Deutschland den Deutschen«. Er könne in dieser auch von der NPD genutzten Losung nichts Anstößiges erkennen: »Selbstverständlich sollte ein Land denen ‘gehören’, die dort lange ansässig sind, die über Jahrzehnte oder sogar viele Generationen dort Wurzeln geschlagen und sich in den Staat eingebracht haben.«

Längst nicht alle in seiner Partei sehen das so wie Poggenburg: Die AfD Mecklenburg-Vorpommern hatte im April den Landtagsabgeordneten Ralph Weber nach ähnlichen Äußerungen abgemahnt, weil dieser dem öffentlichen Ansehen der Partei damit geschadet habe. Seine Wortwahl »Deutschland den Deutschen« sei als Kampfparole der rechtsextremen NPD bekannt, argumentierte der Landesvorstand damals.

Doch der AfD-Landeschef fiel auch durch andere Äußerungen im Verlauf des Chats auf. So regte Poggenburg auch Schulungen zur »Erweiterung der Außengenzen« an. Dazu teilte er nun in einer Stellungnahme mit, er halte die Äußerung für »vollkommen nachvollziehbar«. Poggenburg: »Ein Kernthema der AfD sind die europäischen Außengrenzen, die zwar auf dem Papier existieren, de facto aber real kaum vorhanden sind und nur stückweise als tatsächlich wahrnehmbare Grenze funktionieren« würden. Tatsächlich funktionstüchtige Außengrenzen müssten laut Poggenburg erweitert werden, denn nur so könne eine unkontrollierte Masseneinwanderung nach Deutschland und Europa zukünftig eingedämmt werden.

Sachsen-Anhalt prüft Überwachung durch den Verfassungsschutz

Doch nicht nur parteiintern droht der AfD in Sachsen-Anhalt nun massiver Ärger. »Nach meinem ersten Eindruck habe ich das Gefühl, dass einige nicht mehr mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, sondern höchstens noch mit der Zehenspitze«, erklärte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Er kündigte am Mittwochabend an, eine Beobachtung des Landesverbands durch den Verfassungsschutz prüfen zu lassen.

Damit nicht genug: Wie die »Westdeutsche Allgemeine Zeitung« (WAZ) berichtet, prüft die Bundespolizeidirektion Pirna, ob sie gegen zwei an der WhatsApp-Gruppe beteiligte Bundespolizisten straf- und dienstrechtliche Maßnahmen einleitet. Derzeit laufe eine juristische Prüfung ihrer Äußerungen, zudem soll es eine Anhöhrung der beiden Männer geben. Anhand etlicher Hinweise innerhalb des Gesprächsverlaufs sei ihre Identität leicht festzustellen.

Einer der beiden Beamten forderte die AfD laut Chatprotokoll dazu auf, die Medien zu »unterwandern, sonst wird es ganz schwer« Sein Vorschlag: »Mit der Machtübernahme muss ein Gremium alle Journalisten und Redakteure überprüfen und sieben. Chefs sofort entlassen, volksfeindliche Medien verbieten.« Inhaltlich blieb diese Forderung übrigens vollkommen unwidersprochen. Eine andere Person reagierte darauf lediglich mit den Worten: »Das hier ist fast öffentlich, also vorsichtiger agieren!«

Dass derartige Äußerungen über die Pressefreiheit in einer Gruppe von 200 Teilnehmern unwidersprochen blieben, sage alles über das Rechtsverständnis der AfD, sagte Landtagsvizepräsident Wulf Gallert (LINKE). Der Innenexperte der Grünen, Sebastian Striegel, erklärte: »Es zeigt sich einmal mehr, dass die AfD eine völkische und rassistische Partei ist.«

Nun ließe sich annehmen, die Partei würde zumindest Schadensbegrenzung betreiben, indem die WhatApp-Gruppe geschlossen wird. Doch der Initiator des Chats, der AfD-Landtagsabgeordnete und Bundestagskandidat Andreas Mrosek, sieht das anders. Auch einen Neustart der Gruppe lehnt er ab: »Da kann ja wieder ein Maulwurf drin sein, man schaut ja niemandem hinter die Stirn«, sagte er der WAZ. Grund zur Entschuldigung sieht er auch nicht. »Unschön gerade im Wahljahr, dass das veröffentlicht worden ist«, so Mrosek.

Internes und allerlei Hetze

Grund für den Chat war übrigens nicht, eine Plattform zu schaffen, um über den politischen Gegner herzuziehen. Ursprünglich sollt es darum gehen Veranstaltungen, Artikel und TV-Beiträge zu verbreiten. Die ein oder andere Vorabinformation fiel dann aber doch oftmals ab. So schrieb Poggenburg am 13. Februar live aus der Sitzung des Bundesvorstands: »Morgen Leute, im BuVo wurde gerade beschlossen PAV Höcke, mit 4 Gegenstimmen. Hier wollen einige den Machtkampf auf die Spitze treiben, egal wie das nach außen wirkt.« Die Öffentlichkeit wusste da von dem Abstimmungsergebnis noch nichts.

Auch die in AfD-Reihen übliche Hetze, etwa gegen Geflüchtete, taucht im Chatverlauf immer wieder auf. »Ich fürchte nach der Bundestagswahl im September werden uns die Politiker wieder mit Asylanten überschwemmen«, schreibt ein Gruppenmitglied. Eine andere Person hofft, dass der »Rücktransport der Schlauchboottouristen« durch Italien geregelt werde.

Jemand anderes fordert, dass man Flüchtlinge »praktischer Arbeit zuführt«. Sein Vorschlag: Asylsuchende sollten »Sand in der Wüste sieben«. Auch als ein Chatteilnehmer den bis heute nicht aufgeklärten Tod des Asylsuchenden Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle bejubelt, gibt es keinerlei Widerspruch. Wörtlich heißt es: »Ich sage nur... Gott sei dank, einer weniger!!!«

Poggenburg erklärt dazu in einer Pressemitteilung, er sei für solche Äußerungen anderer Nutzer nicht veranwortlich, da er »weder Betreiber noch Moderator dieser Gruppe« sei und selbst auch nur »über einen Bruchteil des Inhaltes« informiert gewesen sei. Seiner Ansicht nach sei es weder seine Aufagbe noch sein Recht gewesen, »irgendwelche Meinungsäußerungen« einzuschränken. »Im Übrigen würde ich mich damit auch wieder dem Vorwurf eines innerparteilichen ‘Dikators’ aussetzen«, so Poggenburg.

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