Abschluss ist Abschluss

Thüringen weigerte sich beharrlich ein DDR-Studium anzuerkennen – zum großen Unmut der obersten Verwaltungsrichter

  • Sven Eichstädt, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Einigungsvertrag sind fast alle Fragen geregelt worden, die den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik betreffen. Unter der Überschrift Bildung wurde 1990 auch festgelegt, wie mit Abschlüssen aus der DDR umzugehen sein sollte: Sie wurden den Abschlüssen gleichgestellt, die in der früheren Bundesrepublik erworben werden konnten. Ein Diplom-Ökonom von einer DDR-Fachschule etwa würde dann zu einem Diplombetriebswirt (FH). Im Dezember 1997 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht diesen Anspruch für frühere DDR-Abschlüsse, der sich direkt aus dem Einigungsvertrag ergibt, in einem Grundsatzurteil. Doch trotz der Regelung im Einigungsvertrag und auch des höchstrichterlichen Urteils bedeutete das noch nicht, dass sich überall in den neuen Bundesländern daran gehalten wurde. Thüringen etwa verweigerte eine solche Nachdiplomierung in vielen Fällen unter Verweis auf das Hochschulgesetz des Freistaats.

Dort ist in Paragraf 110 geregelt, dass zusätzlich mindestens ein Jahr ein neues Studium an einer Fachhochschule absolviert werden muss. Nur wer sein Studium bis Ende 1990 abgeschlossen hat, kann auf dieses erneute Studium verzichten, um den DDR-Abschluss anerkannt zu bekommen, wenn er oder sie mindestens drei Jahre einschlägige Berufserfahrung nachweisen kann.

Hella B. etwa wurde von den Thüringer Behörden seit mehr als 20 Jahren der Titel Diplombetriebswirtin (FH) verweigert. Die Frau hatte zunächst in der DDR die Polytechnische Oberschule bis zur zehnten Klasse besucht. 1980 wurde sie Zahntechnikerin, 1983 dann zusätzlich noch Bankkauffrau mit der Spezialisierung für Sparkassen. Dann folgte noch ein Fernstudium in der Fachrichtung Finanzwirtschaft an der Fachschule für Finanzwirtschaft in Gotha. Dieses Studium schloss Hella B. Anfang 1991 erfolgreich ab – als Diplomökonomin. Da Gotha in Thüringen liegt, sind die Behörden des Freistaats für die Anerkennung des Abschlusses von Hella B. zuständig. Seit 1994 beantragte die Frau dies, zuletzt 2011 – jedes Mal wurden die Anträge abgelehnt. Nach ihrem Studium hatte Hella B. zunächst eine Tankstelle betrieben, seit 1995 sind es sogar zwei Tankstellen unter ihrer Leitung.

Gegen die letzte Ablehnung des Thüringer Ministeriums von September 2011 zog Hella B. schließlich vor Gericht und unterlag im Juni 2012 zunächst vor dem Verwaltungsgericht Weimar. Sie gab nicht auf und legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Das Oberverwaltungsgericht Weimar gab ihr im Juni 2016 recht und entschied, dass die Ablehnung ihres Antrags auf Nachdiplomierung rechtswidrig war. Hella B. habe Anspruch darauf, dass ihr Abschluss anerkannt und einem Fachhochschulabschluss gleichgestellt werde. Dies ergebe sich direkt aus der Regelung im Einigungsvertrag. Außerdem könne die Frau eine einschlägige mehrjährige Berufserfahrung nachweisen, ergänzten die Richter des Oberverwaltungsgerichts.

Mit diesem Urteil waren wiederum die Thüringer Behörden nicht einverstanden, weshalb es zur Revisionsverhandlung am Bundesverwaltungsgericht kam. Der
Sechste Senat unter Vorsitz von Ingo Kraft wies die Revision Thüringens zurück (Az. 6 C 43.16), weil sich der Anspruch direkt aus dem Einigungsvertrag ergibt. Die Bundesrichter sparten dabei nicht mit heftiger Kritik an den Thüringer Behörden, dass sie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1997 nicht akzeptieren wollen. »Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat die Aufgabe, Rechtseinheitlichkeit in der Bundesrepublik herzustellen und Rechtssicherheit für Betroffene zu schaffen«, sagte Richter Thomas Heitz. »Es ist nicht zu verstehen, dass Sie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht anerkennen und Anträge einfach ablehnen.«

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