Auf zum fröhlichen Diktatorenjagen

Das Zentrum für Politische Schönheit bläst ins Horn: Bayern hat eine Projektwoche an allen Schulen verordnet

Wolltest Du schon immer Flugblätter gegen einen echten Diktator verteilen? Werde Kandidatin oder Kandidat und gewinne mit etwas Glück eine spannende Reise in eine Diktatur Deiner Wahl. Auf Kosten der Bayerischen Staatsregierung startest Du von München aus in das größte Abenteuer Deines Lebens», lockt die Website zu einer spektakulären Mitmachaktion. An allen Schulen des Freistaates gebe es in dieser Woche zwei zusätzliche Doppelstunden zum Thema «Die Scholls - aus der Vergangenheit lernen». Wo die personelle Kraft hierfür nicht ausreiche, sei es aus Lehrermangel, sei’s aus hinterwäldlerischem Unwissen oder stoischem Unwillen der Pauker, biete die Staatskanzlei Ersatzunterricht an. Der oberste Polizei- und Geheimdienstchef der Bajuwaren scheint höchst dero selbst für die Aktion des Zentrums für Politische Schönheit zu werben. Mit einem Schreiben und seinem Konterfei, mal nicht bierselig grinsend sondern bierernst, als sei ihm justement Lenin über die Füße gestolpert.

Die Schüler wird’s freuen. Endlich mal keine Märchenstunde mit Ludwig II., kein Schenkelklopfen, kein Goaßlschnalzen und kein Aufsatz über die Rosenheim Cops. Sondern Bambule. Widerstand eben. Aber wer oder was ist Scholl? Klar, Bayerns Nachwuchs weiß es. Schließlich verfügt der Freistaat über das beste Bildungssystem Deutschlands, wie von dort immer wieder zu hören. Ergo werden die Jungs über Mehmet streiten, den Ex-FC-Bayern, der justement zum Confetti-Cup in Sotschi mit einem Witz über Cristiano Ronaldo die Sportwelt erregt. Die Mädels schwärmen vom handlichen Scholl Velvet-Smooth-Express-Achsel- und Beinhaarentferner. «Fünf. Setzen!»

Vier Tage, nachdem die Geschwister Hans und Sophie Scholl Flugzettel gegen Hitlers verdammten Krieg in den Lichthof der Münchner Universität geworfen hatten, wurden sie und ihr Mitstreiter Christoph Probst vom «Volksgerichtshof» zum Tod durch das Fallbeil verurteilt; das Urteil wurde noch am gleichen Tag im Gefängnis München-Stadelheim vollstreckt. Das mag manchen Bub’ und manche Maid jetzt erschrecken und abschrecken. Indes, es sollen tolle Preise winken, für die sich schon ein wenig Einsatz und Wagemut lohnt, beispielsweise ein iPad oder ein Fidget-Spinner (die Krönung der Spielzeugindustrie), eine Wildwassertour in Bad Tölz oder Tickets für das Chiemsee Summer-Festival, ja sogar eine Reise nach Auschwitz mit Übernachtungen für zwei Personen. Ob mit oder ohne Aufsichtspersonal, ist auf der Homepage der Widerstandsbewegung nicht ausgewiesen. Mitmachen dürfen aber bei der Flugblattaktion wohl alle, nicht nur Schulpflichtige.

Nun mögen Moralapostel empört aufschreien, das sei alles unerhört, unverschämt und unverantwortlich. Ich aber sage: Wahrlich, selten genug wird hierzulande das antifaschistische Erbe beschworen und für aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen belebt. Ja, aber, mögen sensible, grüblerische Gemüter einwenden, die Geschwister Scholl gaben ihr junges Leben für die Befreiung von faschistischer Tyrannei und nicht für ein dubioses Event, bei dem niemand fürchten muss, hernach geköpft zu werden. Da sage ich: Das mag wohl sein, aber ich warne, es drohen immer noch drakonische Strafen für widerständige Aktionen. Das Eindringen beispielsweise in einen umschlossenen Raum - falls in einen solchen jemand Flugblätter loswerden will - wird ab Paragraf 243 StGB geahndet, Sachbeschädigung - etwa Klebeaktionen an Privatzäunen und Garagentoren - ab Paragraf 303 oder so. Privateigentum ist heilig, da ist das Grundgesetz vor. Es kann also teuer und ungemütlich werden, denn wer keine Knete hat, wandert in den Knast. Nun mögen wiederum andere, Skeptiker, Superschlaue, Spaßbremsen fragen: Was soll das alles überhaupt? Da sage ich: Schreitet durchs Internetportal, erkundigt euch. Ob es vernünftig ist, weiß ich nicht. Aber was ist schon vernünftig? Der Mensch jedenfalls nicht, wie Oscar Wilde wusste.

«Schreibe Dein eigenes Flugblatt und werde Teil der Widerstandsbewegung. Worte sind Waffen, die zum Sturz eines echten Diktators führen können», lockt das Zentrum für Politische Schönheit. Und damit sich niemand geistig überanstrengt, stehen «zehn erstklassige Zieldiktaturen» zur Auswahl. Nun werden Nahostkenner, Sinologen, Koreanistikexperten und Russlandversteher die Hände über den Kopf schlagen: «Herrschaftszeiten, soll ein Seppl vom Starnberger See oder eine Mitzi aus München unsere Welt noch unordentlicher machen?!» Da sage ich: Wahrlich, das kann geschehen. Aber ich gebe mit Rainer Maria Rilke zu bedenken: «Wir ordnen’s. Es zerfällt. Wir ordnen’s wieder und zerfallen selbst.» Ich könnte auch mit einem Sprichwort antworten, das bei russischen Diktatoren beliebt war: «Überflüssige Ordnung ist auch Unordnung.» Alle Schwarzseher und Schwarzmaler seien zudem beschwichtigt mit dem Verweis, dass bei der Kunstaktion des Zentrums im vergangenen Jahr in Berlin, «Flüchtlinge fressen», kein einziger Syrer den Tigern vor dem Maxim-Gorki-Theater zum Fraß vorgeworfen wurde.

Die Bayern haben sich in ihrer Geschichte noch nie mit dem Sturz von Diktatoren rühmlich hervorgetan, umso mehr mit Hätscheln derselben (und Heil-Hitler-Rufen). Sehr wahrscheinlich also, dass ihnen nerviger als Putin, Assad oder Kim Jong-un die eigene Schwiegermutter, der Schuldirektor, der Schaffner oder der Seehofer erscheint. Wir erfahren es am 29. Juni, wenn das Zentrum für Politische Schönheit in den Münchener Kammerspielen die Preise vergibt.

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