Verträge, Gewissen, Grundgesetz
Merkels Vorstoß zur Ehe für Alle hat enormes Wahlkampfgetöse ausgelöst. Dabei gerät einiges in den Hintergrund
Das ist schon ein eigentümlicher Start in den Wahlkampf - die SPD, die sich jahrelang in der Frage nicht getraut hat, die Union auf die Probe zu stellen, treibt nun CDU und CSU mit der Ehe für Alle vor sich her. Was den Effekt hat, dass das kontroverse Thema, das sich gut für den Wahlkampf geeignet hätte, schneller abgeräumt wird, als viele zu denken wagten.
Überall schlagen sich nun Politiker an die Brust, dabei vergessend, was noch vor ein paar Tagen Stand der Zeitungsmeldungen war. Das betrifft übrigens auch die Grünen, deren Abgeordneter Volker Beck zwar ganz zu Recht dafür gefeiert wird, den nötigen Druck bei dem Thema aufrecht erhalten zu haben, deren Parteispitze sich aber daran erinnern sollte, dass sie den Kölner geradezu bekniet hatten, seinen Parteitagsantrag zurückzunehmen, in dem die Ehe für Alle zur Koalitionsbedingung gemacht wurde. Übrigens: Der erste Antrag zur Ehe für Alle im Bundestag kam von der Linksfraktion und das war 2013.
Eigentümlich mag man auch die Debatte innerhalb der Großen Koalition bezeichnen. Die Union versteckt nur wenig, dass sie einigermaßen kalt erwischt wurde - auch wenn spätestens seit Sonntag die Entscheidung von Angela Merkel bekannt war, bei dem Thema auf eine Freigabe der Abstimmung zu setzen, die so genannte Gewissensentscheidung. Mag sein, dass viele davon ausgingen, dass es dazu erst in der nächsten Legislaturperiode kommen würde.
Die Kanzlerin wird sicher aber auch den Fall gedanklich durchgespielt haben, der nun eingetreten ist. Dass nun viel Kritik, sogar Häme gegen sie in den Berliner Politikkessel gegossen wurde, sowohl aus den eigenen Reihen als auch vor allem von Sozialdemokraten, dürfte für die CDU-Vorsitzende ein bezahlbarer Preis sein - dafür, dass diese ebenso politische wie symbolisch wichtige Frage damit abgeräumt wird. In drei Wochen wird man nicht mehr viel über die aktuelle Aufregung reden.
Der Koalitionsvertrag
Einige Punkte sind in dem Wahlkampfgetöse in den Hintergrund getreten. Unionsfraktionschef Volker Kauder warf dem Koalitionspartner einen »Vertrauensbruch« vor, dabei schnell hinzufügend, dass die Arbeit in der gemeinsamen Regierung bis zum Herbst weitergehen werde. Der CDU-Rechtspolitiker Patrick Sensburg sprach sogar von einem »Koalitionsbruch aus Kalkül«, den die Sozialdemokraten begangen hätten. Und der CSU-Landesgruppengeschäftsführer Max Straubinger verwies auf den Koalitionsvertrag, der zur Ehe für Alle besage, »dass wir uns damit in dieser Legislaturperiode nicht beschäftigen«.
Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Im Koalitionsvertrag tauchen gleichgeschlechtliche Partnerschaften an zwei Stellen auf - in der Präambel und in einem Abschnitt, der mit den Worten »Sexuelle Identität respektieren« überschrieben ist. Von der Ehe für Alle ist keine Rede, es handelt sich dabei um ein vom medienpolitischen Betrieb geprägtes Schlagwort.
»Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sollen Respekt und Anerkennung erfahren«, hat sich also die Große Koalition auf die Fahnen geschrieben. Und weiter: »Wir wissen, dass in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Werte gelebt werden, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und von Menschen auf Grund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden. Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen. Bei Adoptionen werden wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption zügig umsetzen.«
Der Antrag des Bundesrates
Letzteres haben Union und SPD umgesetzt, und zwar 2014. Danach durften Lebenspartner fortan ein Kind adoptieren, das der andere Partner bereits adoptiert hat. Damit ist die Rechtslage ein weiteres Mal zugunsten gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften verändert worden - freilich war das vielen nicht weitgehend genug. Seit 2001 können homosexuelle Paare in der Bundesrepublik ihre Lebenspartnerschaft offiziell eintragen lassen. Daraus entsprang eine weitgehend Gleichstellung bei der Unterhaltspflicht, im Erbrecht oder beim Ehegattensplitting. Einer der entscheidenden Diskriminierungen, die fortbesteht, ist die Verweigerung der gemeinsamen Adoption eines Kindes.
Dies zu ändern, ist auch ein bestimmendes Motiv des Antrags des Bundesrates gewesen, der nun im Bundestag zur Abstimmung kommen wird: Gleichgeschlechtliche Paare seien »in einer Reihe von Rechtsbereichen noch immer gegenüber der Ehe benachteiligt. Dies betrifft in erster Linie das Adoptionsrecht«, heißt es darin. Zur Einordnung ist vielleicht diese Zahl zu berücksichtigen: Im Jahr 2015 wurden bundesweit gut 3.800 Kinder adoptiert.
Daraus kann man Schlüsse ziehen, für wie viele Menschen eine Neuregelung bezüglich des Adoptionsrechtes wirksam werden könnte. Es geht aber um mehr als einige wenige Fälle von Adoptionen. »Gleichgeschlechtlichen Paaren ist bis heute die Ehe verwehrt, was eine konkrete und symbolische Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität darstellt«, so heißt es in dem Bundesratsantrag.
Das Grundgesetz
Ein Streitpunkt bleibt, ob eine Änderung des Grundgesetzes nötig ist, diese konkrete und symbolische Diskriminierung zu beseitigen. Laut Artikel 6 des Grundgesetzes stehen Ehe und Familie »unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung«. Die Gegner einer Ehe für Alle sagen unter Verweis auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, dies sei nicht ohne Weiteres auf gleichgeschlechtliche Paare übertragbar. Die Befürworter einer Ehe für Alle sehen das anders - ebenfalls unter Verweis auf Karlsruher Entscheidungen.
Die Richter hatten 1993 argumentiert, »dass hinreichende Anhaltspunkte für einen grundlegenden Wandel des Eheverständnisses in dem Sinne, dass der Geschlechtsverschiedenheit keine prägende Bedeutung mehr zukäme«, nicht erkennbar seien. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt. Mit dem Hinweis auf die Möglichkeit eines solchen Wandels hatte Karlsruhe aber zu erkennen gegeben, dass sich die Zeiten ja durchaus ändern könnten.
Das Eheverständnis
So argumentieren nun die Bundesländer in ihrem Antrag. Es lägen »nun hinreichende Anhaltspunkte für einen grundlegenden Wandel des traditionellen Eheverständnisses« vor, »die angesichts der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers die Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts verfassungsrechtlich zulassen«. Auf eine Grundgesetzänderung käme es daher auch nicht zwingend an - die Frage lasse sich durch eine Ergänzung im Bürgerlichen Gesetzbuch bereits regeln: im Paragrafen 1353 zur »ehelichen Lebensgemeinschaft«. Dort soll klargestellt werden, dass auch gleichgeschlechtliche Personen eine Ehe eingehen können.
Soweit der Stand der Dinge. Einmal von den gesellschaftspolitischen Fragen abgesehen - eine nicht unwichtige Nebenrolle spielt hier die Frage des Koalitionsvertrags und des Fraktionszwanges. Was die Auslegung des Inhalts der Passage zu den gleichgeschlechtlichen Partnerschaften angeht, könnten Union und SPD sich auf alle Zeiten in Interpretationswettkämpfe begeben.
Die »Gewissensentscheidung«
Es steht dort weder konkret, dass die Ehe für Alle nicht zum Thema gemacht werden dürfe, noch bedeuten die Formulierungen für sich genommen, die Ehe für Alle könne doch zum gemeinsamen Gegenstand der Koalition werden. Zwar heißt es, »rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitige«. Aber die Ehe für Alle geht über diese Frage deshalb hinaus, weil sie einen grundlegenden Wandel in dem Verständnis der vor allem den Konservativen (zumindest politisch) heiligen Ehe gesetzlich vollzieht.
Von einem »Koalitionsbruch« zu reden, wie es Unionspolitiker nun tun (und die SPD es sich in anderen, mindestens ebenso wichtigen Fragen bisher nicht getraut hatte), könnte allerdings auf einen anderen Teil der Regierungsvereinbarung sich stützen - eine durchaus umstrittene Standardformulierung. »Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen«, heißt es da.
Demokratiepolitisch ist daran einiges zu bemängeln, es stärkt unter anderem die Macht von Parteiapparaten, die über die Linie in Regierung und Parlamentsfraktion gleichermaßen bestimmen - obgleich der Bundestag die Regierung ja kontrollieren sollte. Auch begrenzen solche Formulierungen die Freiheit der politischen Auseinandersetzung.
Die Fraktionsdisziplin
Nicht zuletzt, und das ist vielleicht der entscheidendste Punkt dabei: Es lässt sich daraus eine Politik des Fraktionszwanges, der Fraktionsdisziplin ableiten. Die steht mit dem Grundgesetz auf Kriegsfuß, in dem es zu den Abgeordneten heißt, sie seien »Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen«. Also nicht der Weisung von einem Fraktionsvorsitzenden, einer Parteichefin, einem Regierungsmitglied oder sonstwem.
Die »Freigabe« der Abstimmung über die Ehe für Alle ist so gesehen eine verfassungspolitische Farce, zumal sich die Frage stellt, warum beispielsweise Auslandseinsätze der Bundeswehr, Rentenkürzungen oder, um einmal etwas positives zu nennen, die Einführung eines Mindestlohnes keine Gewissensentscheidung sein sollen. Und als was hat Merkel dieses Votum eigentlich »freigegeben«? Als Kanzlerin? Als Parteivorsitzende?
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