Italien droht Flüchtlingshelfer auszusperren

Mehr als 10.000 Menschen wurden in den letzten Tagen im Mittelmeer gerettet

  • Lesedauer: 3 Min.

Rom. Italien erwägt die Schließung seiner Häfen für Schiffe, die nicht unter italienischer Flagge fahren. Damit droht das EU-Land Schiffe abzuweisen, die im Mittelmeer Geflüchtete gerettet haben. Sollte es nicht mehr Unterstützung von der EU geben, könnte den Booten von Hilfsorganisationen das Anlegen verwehrt werden, hieß es aus Regierungskreisen in Rom am Mittwoch.

Die Regierung in Rom habe die EU-Kommission informiert, dass 22 Schiffe mit 12.500 im Mittelmeer geretteten Geflüchteten auf dem Weg nach Italien seien. Der italienische Innenminister Marco Minniti hatte am Vortag wegen der drohenden Überfüllung der Aufnahmelager eine Reise in die USA abgebrochen.

Im Gegensatz zu ersten Informationen sollen Schiffe der EU-Mission »Operation Sophia« oder der EU-Grenzagentur Frontex von dem möglichen Verbot nicht betroffen sein. Wie sich dieses Verbot rechtlich umsetzen ließe, blieb zunächst unklar.

Die Geflüchteten werden in der Regel vor der libyschen Küste von der italienischen Küstenwache, den Schiffen der EU-Mission oder von Hilfsorganisationen gerettet. Seit Beginn des Jahres kamen in Italien mehr als 73.000 Menschen an, rund 14 Prozent mehr als im Vorjahr.

Der italienische EU-Botschafter Maurizio Massari habe die »Notlage« seines Landes darstellen wollen und deshalb am Mittwoch EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos getroffen, erklärte ein EU-Diplomat in Brüssel. Anlass des Treffens war die hohe Zahl der Rettungsaktionen in den vergangenen beiden Tagen. Die geretteten Menschen würden nun an Land gebracht. Die Aufnahmekapazitäten seien am Limit, erklärte ein EU-Diplomat.

Avramopoulos brachte nach dem Treffen seine Unterstützung für Italien zum Ausdruck. Seine Behörde sei bereit, der Regierung in Rom noch stärker unter die Arme zu greifen, »falls nötig auch mit erheblicher finanzieller Unterstützung«.

Avramopoulos betonte, es gelte, stärker mit Herkunfts- und Transitländern zusammenzuarbeiten. »Wir alle haben eine humanitäre Verpflichtung, Leben zu retten. Wir können natürlich nicht eine handvoll EU-Staaten damit alleine lassen«, betonte der EU-Kommissar. Darüber müsse aber in erster Linie im Kreis der EU-Staaten beraten werden, unter anderem beim Treffen der europäischen Innen- und Justizminister in der kommenden Woche im estnischen Tallinn.

Auch Schiffe von Seenotrettungsorganisationen aus Deutschland, wie »Sea Watch« und »Jugend Rettet«, könnten von dem Anlegeverbot betroffen sein. »Sea Watch« setzte am Mittwoch einen Hilferuf ab. »Mit einem alten Boot, mit einer freiwilligen Besatzung und allein gelassen vor den Toren Europas. Mit wenig Schlaf haben wir Tag und Nacht Menschenleben gerettet, medizinische Notfälle versorgt und Tote geborgen«, erklärt Sea Watch. Das Boot sei vollkommen überladen und es gebe nicht genug Essen für die Geretteten an Bord. Auch andere Rettungsorganisationen waren am Limit.

Ärzte ohne Grenzen, die eine der größten Missionen im Mittelmeer fahren, erklärte, die oft verletzten Menschen müssten in den nächstgelegenen und in einen sicheren Hafen gebracht werden. Rein geografisch trifft es damit vor allem Italien. »Wenn überhaupt ist das ein Hilferuf der italienischen Regierung in Richtung der EU«, sagt Marcella Kraay, Projektkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen an Bord der »Aquarius«. »Und es geht einher mit dem, was wir stets gefordert haben. Wir haben die EU immer dazu aufgefordert, Such- und Rettungseinsätze im Mittelmeer zu ermöglichen und zu organisieren. Bis das passiert, sind wir gezwungen, dort draußen zu sein. Denn Menschen sind in Gefahr, sie werden ertrinken, wenn wir nicht da sind.« Agenturen/nd

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