Attac: »Die G20-Demoverbote zielen auf Abschreckung«
Vor politischen Großdemonstrationen müssen Kundgebungen und Camps häufig erst vor Gericht erstritten werden - manchmal kommt das Urteil zu spät
»Yes, we camp!«, steht auf dem Schild, das ein Aktivist zwischen ein paar Zelten hochhält. Das Foto der dpa wirkt ungewollt komisch. Es liegt an der Körperhaltung, die nicht recht zu der Jubelmeldung des erlaubten G20-Protestcamps passen will: Die Schultern hängen, der Kopf ebenso, die Augen blicken genervt. Warum? Weil Christian Weßling, der die Proteste für Attac organisiert, sich auskennt. Er ist oft genug bei Gipfelprotesten gewesen, um zu wissen: Das juristische Hickhack um die Veranstaltungen geht noch eine Weile. Weil es immer so ist. Kein Gipfelprotest ohne Versammlungsverbot, keine Demo ohne gerichtliche Erlaubnis.
»Das nützt unserer Versammlung herzlich wenig!«
»Diese Verbote zielen ganz offensichtlich auf Abschreckung ab und sind rechtswidrig, weil sie das Versammlungsrecht von vornherein nicht schützen, sondern einengen«, ärgert sich Werner Rätz, ebenfalls ein alter Hase bei Attac. »Und dann werden die Proteste im Nachhinein erlaubt. Das hilft unserer Versammlung herzlich wenig!« Rätz war schon bei den Gipfelblockaden gegen die G8 in Heiligendamm dabei und hat es selbst erlebt. Auch hier war eine allgemeine Verbotszone verfügt worden. Die Hamburger Polizei begründet ihre aktuelle Allgemeinverfügung sogar damit, dass die Gefahrenlage mit den Protesten vor zehn Jahren vergleichbar sei. Was die Polizei allerdings nicht erwähnt, Rätz aber noch sehr präsent hat: Das Verbot des Sternmarschs, der zu Beginn des Gipfels in Heiligendamm stattfinden sollte, war rechtswidrig.
Das hatte schon das Oberlandesgericht Greifswald rechtzeitig vor den G8-Protesten festgestellt und das Verbot aufgehoben. In einem Verfahren über einstweiligen Rechtsschutz urteilte das Bundesverfassungsgericht jedoch einen Tag vor der Demonstration, dass zwar die Verbotszone verfassungswidrig sei – das Demonstrationsverbot aber rechtens, da es mit der Gefährlichkeit angereister Demonstranten begründet worden war. Die Demonstranten nahmen sich ihr Recht auf Versammlung trotzdem, kämpften sich zivil ungehorsam bis zu den Absperrungen rund um den Gipfel vor und schafften eine Erzählung, die die politische Legitimität der G8 in Frage stellte. Der Preis war jedoch hoch: brennende Augen durch Pfefferspray, blaue Flecken durch Polizeiknüppel. Die natürlich längst verheilt waren, als das Oberverwaltungsgericht – erst im August 2012 - in einem ordentlichen Verfahren letztinstanzlich urteilte: Das Demoverbot war nicht rechtens. Wie übrigens auch die Haltung Hunderter Festgenommener – insgesamt waren es während der Proteste 1060 - in Käfigen.
Blockupy-Demo: Erst im Nachhinein erlaubt
Die G8-Proteste sind nicht der einzige Fall, in dem ein Demoverbot im Nachhinein aufgehoben wurde. Ähnlich verlief es bei den ersten Blockupy-Protesten gegen die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main 2012. Jede politische Veranstaltung, die das Bündnis angemeldet hatte, wurde verboten: Das Protestcamp, mehrere Kundgebungen im Bankenviertel, ein Rave und eine Großdemonstration. Die Aktivisten stießen auf Wasserwerfer, Pfefferspray und Knüppel. Insgesamt 1430 Demonstranten wurden in Bussen und zwölf Polizeikesseln festgehalten.
Dass eine Demonstration auf dem Paulsplatz gegen die Verbote ebenfalls verboten wurde, brachte die Zivilgesellschaft auf den Plan. Empört versammelte sie sich trotzdem zu Hunderten, das Grundgesetz in die Höhe haltend, eingekesselt von der Polizei. »Das Verwaltungsgericht urteilte ein halbes Jahr später, dass das Verbot rechtswidrig war«, erinnert sich die Anmelderin Elke Steven vom Grundrechtekomitee heute, »dasselbe Gericht, dass die Kundgebung im Eilverfahren verboten hatte. Es ist ärgerlich: Die Camp- und Versammlungsverbote schrecken vor den Protesten ab.«
Der »Frankfurter Kessel«
Die Demonstranten bekommen jedoch nicht immer Recht. Eine vom Frankfurter Verwaltungsgericht erlaubte Blockupy-Demonstration wurde 2013 von der Polizei aufgehalten. Das Bündnis klagte und ging bis vor das Verfassungsgericht – wo es eine Niederlage einsteckte: Die als »Frankfurter Kessel« bekannt gewordene Festnahme von fast 1000 Aktivisten war rechtens, urteilten die Richter. Für Steven kam das überraschend, denn seit einem Urteil des Verfassungsgerichts zu den Anti-AKW-Protesten in Brokdorf 1985 gilt: Selbst wenn einzelne Teilnehmer einer Demo Straftaten begehen, darf die Versammlung nicht als Ganzes verboten werden. »Auch egal«, sagt der Philosoph und Aktivist Thomas Seibert heute, der die Blockupy-Proteste mit organisierte. »Die Zivilgesellschaft hatte längst ihr eigenes Urteil gefällt: Der Eingriff der Polizei war nicht angemessen. Der Kessel war vielleicht legal – aber keineswegs legitim.«
Tatsächlich waren eine Woche später 15.000 Frankfurter auf die Straße gegangen, um gegen den Eingriff in die Versammlungsfreiheit zu protestieren, im Look der Blockupy-Proteste. Führen die Demonstrationsverbote über die mediale Empörung vielleicht sogar zu einer größeren Unterstützung? »Es ist offensichtlich, dass die Berichterstattung über die Verbote die Aufmerksamkeit für das Ereignis insgesamt steigert«, räumt Rätz ein, fügt aber hinzu: »Gleichzeitig dämpfen die Versammlungsverbote die Bereitschaft, sich an den Protesten zu beteiligen.« Mit 15.000 Polizisten in der Hamburger Festung eingezwängt zu sein, sei nicht gerade verlockend.
Auch Seibert weiß, dass das heraufbeschworene G20-Horrorszenario abschreckend wirkt. »Dass man die Sicherheitsbehörden mit auf den Plan ruft, gehört aber zum Konzept des zivilen Ungehorsams dazu«, sagt er. »Ist doch klar: 10.000 Aktivisten können vielleicht nicht so viel ausrichten, aber 10.000 Aktivisten plus 20.000 Polizisten blockieren eine Stadt ganz locker.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.