G20-Protestcamp: »Rechtsstaat oder Polizeistaat?«
Versammlungsbehörde verbietet Schlafzelte beim »Antikapitalistischen Camp« in Hamburg / Verwaltungsgericht hatte Zeltlager erlaubt
Update 21 Uhr: Polizei macht Weg ins Camp Entenwerder frei – ein bisschen
Am Abend hat die Polizei den Weg zum Antikapitalistischen Protestcamp freigemacht, wie die Linkspolitikerin Christiane Schneider via Twitter erklärte. Alle Auflagen - also etwa ein Verbot, dort zu schlafen - seien aber aufrechterhalten worden. Ein Polizeisprecher wurde mit den Worten zitiert, man würde »unmittelbar einschreiten«, sollte »es entgegen der Verfügung zum Aufbau von Übernachtungszelten kommen«. Bei den Camporganisatoren hieß es am Abend, man setze »jetzt das Gerichtsurteil des Oberverwaltungsgerichts um« und baue »unser Camp auf der Fläche in Entenwerder auf«. Allerdings rechnen die Politcamper »mit weiteren Schikanen« durch die Polizei.
Update 17.25 Uhr: Drittes Camp auf Rathausmarkt errichtet
Auf der Abschlusskundgebung der Protestwelle auf dem Hamburger Rathausmarkt wurde ein drittes Protestcamp erreichtet. Die Aktivist*innen bauten inmitten der Menschenmenge zahlreiche Zelte auf und fordern Innensenator Andy Grote (SPD) dazu auf, das Schlafen auf den Camps in Entenwerder und Altona zu erlauben. Was wir eine symbolische Protestaktion wirkt, ist durchaus ernst gemeint: »Andy Grote soll hierher zum Rathausmarkt kommen und erklären, dass der Campaufbau an beiden Standorten in Altona und in Entenwerder stattfinden kann: Mit Schlafzelten, mit Duschen und mit Küchen. Solange dies nicht geschieht, bleiben wir hier«, sagt Nico Berg von der Interventionistischen Linken in einer Erklärung. »Zur Not soll uns die Polizei hier, direkt vor dem Rathaus und unter den Augen der Öffentlichkeit räumen. Hamburg muss sich jetzt entscheiden: Rechtsstaat oder Polizeistaat.«
»Das ist ein Putsch der Polizei gegen die Justiz«
Die ersten Aktivist*innen sind in Hamburg gestrandet. Tom und Evelyn kommen aus Dublin, um gegen den G20-Gipfel zu protestieren. »Ist ja nicht so weit, global betrachtet«, lacht Tom, »und der Kapitalismus kennt ja auch keine Grenzen. Die G20 machen uns das Leben und das Klima in Irland genauso kaputt wie euch hier in Hamburg.« Sie liegen in der Sonne - der Dauerregen hat am Nachmittag aufgehört - und legen ihren Köpfe auf die dicken Reiserucksäcke. Wo sie in der Nacht schlafen sollen, wissen sie noch nicht. Denn die gerichtlich erlaubte Campfläche in Entenwerder ist von der Polizei abgesperrt. Mit rund 200 anderen Aktivist*innen wartet das Pärchen auf einer Mahnwache an der Zufahrt zur Grünfläche. »Wir bleiben hier, bis wir unsere Zelte aufschlagen dürfen – oder geräumt werden!«, ruft ein Demonstrant vom Lautsprecherwagen. Die Menge jubelt. Und durch die Boxen dröhnt die gewohnte Mundharmonika vom autonomen Liedermacher Quetschenpaua.
Das Hamburger Verwaltungsgericht hatte am späten Samstagabend ein Camp in Entenwerder erlaubt – und zwar eines, das seinen Namen verdient: Nämlich ein Zeltlager mit echten Zelten. Zum Schlafen. Erstaunt mussten die Camper am Sonntag allerdings feststellen, dass die Polizei dem Gerichtsurteil nicht folgte. Die Grünfläche, die sich im Stadtteil Rothenburgsort rund drei Kilometer südöstlich der Hamburger Innenstadt befindet, wird seit Sonntagvormittag von der Polizei abgesperrt. Verwirrung herrscht unter den Organisatoren, die erst einmal eine Kundgebung an der Zufahrt anmelden. Erst als Hartmut Dudde, Einsatzleiter der Polizei, am Mittag vor Ort eintrifft, wird klar: Die Polizei verbietet das Camp tatsächlich. Um die Gefahrenlage zu prüfen. Es setzt Gemurmel ein. »Das dürfen die doch nicht?«, fragt sich Elke Steven vom Grundrechtekomitee laut. »Eine neue Verbotsverfügung, gegen das Gerichtsurteil?« Der Anwalt des »Antikapitalistischen Camps«, Martin Klingner, wird da deutlicher. »Das ist ein Putsch der Polizei gegen die Justiz!«, erklärt er in einem Video.
Eine Stunde später trifft erneut eine Delegation der Versammlungsbehörde ein. Zusammen mit den Anmeldern des Camps zieht sie sich hinter die Polizeiketten zurück. Lange Gesichter beim »Legal Team« des Camps, als die kleine Gruppe zurück trottet. »Camp ja, schlafen nein«, sagt eine Sprecherin der Vorbereitungsgruppe, »derselbe Scheiß wie in Altona!« Auch das zweite Protestcamp im Volkspark Altona durfte zwar erste Zelte für die Dauerkundgebung aufstellen, Schlaf-, Dusch- oder Küchenstruktur bleiben jedoch verboten. Erneut regen sich die Aktivist*innen auf: Hatte das Gericht nicht explizit das Schlafen erlaubt? »Die Polizei sagt, sie legt das Urteil anders aus«, sagt die Sprecherin des Camps, schulternzuckend. Auflagen wurden der Polizei im Urteil des Verwaltungsgerichts allerdings ausdrücklich erlaubt.
Christiane Schneider, die für die Hamburger Linksfraktion als parlamentarische Beobachterin vor Ort ist, zeigt sich wenig überrascht. »Wir hatten bereits befürchtet, dass Herr Dudde auch dieses Urteil einfach ignorieren würde, sind aber trotzdem über seine Kaltschnäuzigkeit empört«, sagt sie. Durch sein Verhalten mache »der oberste Polizist beim G20-Gipfel seinem Ruf alle Ehre, sich nicht um das Recht zu scheren.« Auch der LINKE-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken kritisierte die Campverbote scharf. »Die Demo- und Campverbote dienen ausschließlich der Abschreckung«, sagte er auf der Auftaktkundgebung der »Protestwelle«-Demonstration auf dem Rathausmarkt. »Es gilt jetzt, die Demokratie zu verteidigen!«
In Entenwerder folgt derweil eine kleine Versammlung. Wer ist dafür, die Auflagen der Polizei abzulehnen und so lange zu protestieren, bis die Schlafzelte aufgebaut werden dürfen? Der Jubel ist eindeutig. So bleibt es dabei: Die Aktivist*innen haben ein erlaubtes Camp, das sie nicht nutzen können, und die Polizei bildet weiter ihre Ketten. »Wir sagen danke, aber ohne uns! Wir bleiben auf der Straße bis wir unsere Fläche wie angemeldet beziehen können!«, wird über Twitter geschrieben. Alle warten weiter, Quetschenpaua klampft mit seiner Quetsche. Aber worauf warten wir eigentlich? »Die Polizei hat gegen die Camp-Erlaubnis Rechtsmittel vor dem Oberverwaltungsgericht eingelegt«, sagt Elke Stevens. »Entweder gibt es bald das Urteil – oder wir warten darauf, wie die Polizei auf die Dauerkundgebung hier reagiert.«
Die Aktivist*innen versuchen sich derweil, die Zeit zu vertreiben. »Dudde, du Klobürste«, schreiben sie auf eine Infowand, die die Polizei rasch mitnimmt. Nach einigen Minuten bringen die Beamten die Stellwand zurück. Ohne die Botschaft an ihren Einsatzleiter. Auf der Kundgebung nimmt man's gelassen: Man hat ja Zeit. Also wird ein kleines Quiz daraus gemacht. »Dudde, du K_o_ü_st_?«, steht jetzt auf dem Brett.
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