Ein europäischer Abschied

Helmut Kohl wurde der erste europäische Trauerakt überhaupt zuteil. Es wurde ein Gedenken mit Botschaft

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Angela Merkel nach ihrer Trauerrede für Helmut Kohl im Europaparlament der Ehefrau des Altkanzlers noch einmal persönlich kondoliert, sieht es fast so aus, als drücke Maike Richter-Kohl die Hand der vor ihr stehenden CDU-Vorsitzenden ein bisschen länger als diese damit gerechnet hat. Merkel lächelt. Und auf den Lippen jener Frau, die in ins Zentrum der Konflikte um den Abschied von Helmut Kohl geraten ist, liest man ein Dankeschön.

Der Tod des Altkanzlers hatte einerseits die nächste Folge eines ohnehin schon medial ausgebreiteten Familiendramas in Gang gesetzt. Andererseits war Maike Kohl-Richter für einige zur Unperson geworden, weil sie in der Frau die Gegenfigur zu dem sehen wollten, was als »richtiges Kohl-Gedenken« zu gelten habe - mal mit nationalistischer Verve, mal in parteipolitischem Zorn.

Beide Nuancen kommen an diesem Samstag in Straßburg im Europaparlament zur Sprache - sie werden zurückgewiesen in leisen Nebenbemerkungen und doch in aller Deutlichkeit. Etwa in der Rede des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der den ersten europäischen Trauerakt gegen jene verteidigt, die darin so etwas wie den Verrat an einem deutschen Staatsbegräbnis sehen. Die Trauerfeier in Straßburg, so sagt es Juncker, sei »nicht nicht-deutsch, sie ist europäisch, also auch deutsch«.

Es ist der Hinweis auf eine Haltung, die viele der Redner von Straßburg an Kohl herausstreichen. »Er sprach von einem europäischen Deutschland und wollte nie wieder ein deutsches Europa erleben«, sagt etwa der frühere spanische Ministerpräsident Felipe González.

Natürlich, das bei diesem Trauerakt so oft gebrauchte Wort vom »Großen Europäer« überdeckt, dass der Altkanzler mitverantwortlich für das ökonomische »Wie« einer marktkonformen EU-Integration zu machen ist. Dass er bei aller Anerkennung der Notwendigkeit politischer Vertiefung nichts Wesentliches dazu beitrug, dass politische und soziale Rechte gegenüber den »Marktfreiheiten« gestärkt wurden. Es überdeckt, dass nun auch Leute Kohls Distanz zu einem deutschen Europa abfeiern, die selbst tatkräftig die Berliner Hegemonie zu wahren trachten.

Ein zweiter Konflikt um die Straßburger Trauerfeier hatte eine parteipolitische Schlagseite. Es ging um die Frage, ob eine Rede Merkels in Straßburg am Sarg verhindert werden sollte und warum der Bundespräsident nicht sprechen würde - der einen wurde innerparteiliche Feindschaft nachgesagt, dem anderen parteiübergreifende. Auch hier wurde Maike Kohl-Richters Name genannt. Als mutmaßlicher Strippenzieherin.

Steinmeier ist als Gast dabei, die Kanzlerin spricht. Politisch ist das, was sie sagt, so richtig, wie es ohne Ausrufezeichen bleibt. Ohne Kohl wäre das Leben von Millionen »völlig anders verlaufen«, das ist wahr - es ist vielen aber auch die Möglichkeit genommen worden, darüber selbst zu entscheiden, wie dieser andere Verlauf hätte aussehen können. Und wahr ist auch, Kohl hatte eine »außenpolitische Maxime« - ein Europa, in dem es nie wieder Krieg gibt. Doch hatte der Altkanzler nicht ebenso das Glück, rechtzeitig abgewählt zu werden, bevor erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Bomben auf ein europäisches Land fielen?

Merkel dankte Kohl nicht zuletzt für die Chancen, die er ihr selbst gab - im politischen Leben. Es waren Chancen, die die Ostdeutsche in einer Weise ergriff, die sich der Altkanzler aus dem Westen vielleicht nie vorstellen mochte. Doch darum, um Rückblick, geht es an diesem Samstag in Straßburg weniger.

Was hier an erinnernden Worten ausgesprochen wird, gilt der Zukunft. Und wenn auch die Botschaft, Europa zu reformieren, weil es mehr sein kann als die Summe seiner nationalen Teile, nicht notwendigerweise eine linke Richtung nehmen muss, so ist sie doch besser als jeder Versuch, die Geschichte zurückzudrehen und irgendein Heil im nationalen Rückzug zu suchen.

In seinen Erinnerungen hat Helmut Kohl einmal von »Begräbnisdiplomatie« gesprochen. Was der Altkanzler meinte: Der Ehrung für prominente politische Tote wohnt immer auch eine Chance der Verständigung bei. Kohl habe mit seinem Tod und dem europäischen Trauerakt sozusagen erzwungen, so hat es die Grüne Renate Künast an diesem Samstag formuliert, »dass sich alle versammeln und sich fragen: Was ist unsere Verantwortung für Europa?«

Das ist es, was dieser Trauerakt schafft. Ein letzter Gruß von Kohl. Die, die anreisen, werden von den drei Spitzen der EU begrüßt. Am Ende seiner Ansprache dankt EU-Kommissionschef Juncker in allen europäischen Sprachen. Der Sarg mit der EU-Flagge wird herausgetragen. Um 13.09 Uhr fahren die Wagen mit dem Sarg und den Angehörigen davon. Zu den nächsten Stationen des Abschieds. In eines der EU-Länder. In eine Kirche.

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