Deutschland im Konfettiregen
ConfedCup-Sieg und U21-EM-Titel beflügeln die Fantasie der Fußballenthusiasten
War doch schon wieder WM? Am Sonntagabend in St. Petersburg hätte man durchaus diesen Eindruck gewinnen können. In feinstem Gazprom-Blau strahlte das nagelneue Zenit-Stadion auf der Krestowskij-Insel, auf dem konfettiübersäten Rasen zogen Julian Draxler, Joshua Kimmich, Marc-André ter Stegen und Co. mit dem Konföderationenpokal von Stadionecke zu Stadionecke. 1:0 hatten sie Südamerikameister Chile im Finale bezwungen und dem DFB einen noch nie errungenen Titel beschert: Meister der Kontinentalmeister, ein würdiger Grund zum Feiern.
Ringsumher knallte und donnerte es wie bei einer WM, ein riesiges Feuerwerk für alle – der Abschluss des Turniers. Nur aus der modernen Blechdose namens Stadion sah man nichts davon: Das Dach der neuen Arena ist fast vollständig geschlossen. Stattdessen liefen auf den Bigscreens die Bilder des gigantischen Pyrospektakels, das auf jener futuristisch konstruierten Brücke gezündet wurde, die das Stadion auf der Insel am Finnischen Meerbusen in kühnem Bogen umrundet. Es war ein Feuerwerk von nahezu olympischen Dimensionen. Gastgeber Russland zeigte zum Abschluss noch einmal die Muskeln: Schon bei der WM-Generalprobe wird geklotzt und nicht gekleckert.
Ähnliches konnte man mit Fug und Recht auch von der deutschen B-Elf bei diesem Turnier behaupten. Die jüngste Mannschaft des Confed Cup 2017 sicherte sich den Pokal in einem epischen Endspiel gegen die älteste Mannschaft des Turniers und das mit einer kämpferischen Leistung im Finale, die Löw später in höchsten Tönen loben sollte: »Das war ein magisches Spiel für uns und unsere jungen Spieler«, schwärmte Löw bei der letzten Pressekonferenz und verwies mit Stolz darauf, dass hier gerade eine Mannschaft gewonnen habe, die »es erst seit dreieinhalb Wochen gibt«. Novizen hatten dem staunenden Weltmeister-Coach eine weitere Trophäe beschert. »Wie wir diesen Sieg wollten, war sehr, sehr imponierend.«
Und wie eigentlich immer in seinen Spieleinschätzungen lag Löw damit richtig. Selten hat man eine so unbedarfte Mannschaft so freudvoll und erbarmungslos erfolgreich durch ein Turnier spazieren sehen wie diese DFB-Elf. 3:2 gegen Australien, der Anfang. 2:2 gegen Chile, ein Achtungserfolg. 3:1 gegen Kamerun, der Gruppensieg. 4:1 gegen Mexiko, der Halbfinalrausch. Es war ein Turnier wie aus dem Bilderbuch, dass auch dem Bundestrainer sichtbar Spaß gemacht hatte.
Allein im Endspiel von St. Petersburg hatten die deutschen Fußballer einige wirklich schwierige Phasen durchstehen müssen. Denn die Südamerikaner zogen von Beginn ihr gefürchtetes Pressingspiel auf, bei dem die Gegner mit immenser Laufarbeit die Gegner von der ersten Sekunde an unter Druck gesetzt werden. »Wir lieben es, den Gegnern unser Spiel aufzuzwingen und sie damit nervös zu machen«, so sollte es Chile-Trainer Juan Antonio Pizzi später beschreiben.
Die DFB-B-Elf war sichtbar beeindruckt davon, wie schnell die hart aufspielenden Chilenen stets zur Stelle waren. Sobald Jonas Hector oder Joschua Kimmich auf den Außenbahnne den Ball bekamen, sahen sie sich von zwei oder drei Roten umgeben. In Ruhe das eigene Angriffspiel aufziehen, das gelang anfangs kaum. Die 57.000 Zuschauer, die beinahe komplett den Chilenen die Daumen drückten, waren erfreut. Schon in der Spieleröffnung gab es Ballverluste oder riskante Rückpässe zum Torwart, was Marc-Andre ter Stegen zu einem der Hauptdarsteller der ersten Halbzeit machte. Defensiv wie offensiv: Schon lange hat man nicht mehr so viele lange Abschläge beim Auftritt einer DFB-Elf erlebt. 61 Prozent Chile, 39 Deutschland, so lautete nach 90 Minuten die Ballbesitzquote. Überraschend: Der DFB spielte fast durchgehend auf Konter. Erstaunlich: Auch diese Taktik beherrschte die deutsche B-Elf.
Hilfreich war dabei sicher, dass bereits nach 20 Minuten der entscheidende Treffer gelang, in einer Phase, in der die Arturo Vidal und Kollegen klar überlegen schienen – »der Bruch«, sollte Chile-Coach Pizzi die Szene später nennen. Der Ex-Hamburger Marcelo Diaz vertändelte dabei den Ball an der Strafraumgrenze an den Leipziger Timo Werner, der sofort den mitgelaufenen Lars Stindl bediente, statt selbst seinen vierten Turniertreffer zu erzielen. Stindl schob den Ball ins leere Tor. Kurzer Jubel, weiterspielen.
Was folgte, waren reichlich Chancen für beide Mannschaften, immer wütendere Angriffe der Chilenen und am Ende schließlich goldener Konfettiregen und eine Siegerehrung mit so illustren Gestalten wie FIFA-Boss Gianni Infantino, Russlands stellvertretendem Ministerpräsidenten Witali Mutko, DFB-Boss Reinhard Grindel und Fußballlegende Diego Armando Maradona. Sie alle waren zugegen bei einem womöglich historischer Sieg der Deutschen, denn der Wettbewerb wird zumindest in vier Jahren in Katar nicht ausgetragen werden können. Nicht wenige erwarten, dass die FIFA ihn sanft entschlummern lassen wird.
Was blieb sonst noch zu sagen über dieses Finale? Vielleicht, dass auch in diesem Spiel der Videobeweis nicht ausblieb. Er zeigte aber vor allem, wie so oft bei Confed Cup, die Fehlbarkeit der Referees, denn Milorad Mazic aus Serbien gab Gonzalo Jara trotz eines üblen Ellenbogenschlags in Timo Werners Gesicht nur Gelb statt Rot. Ansonsten gab es an dem Abend reichlich Trophäen. Timo Werner bekam vom brasilianischen Ronaldo den Goldenen Schuh als bester Torjäger überreicht, eine perfekte Belohnung für den Spieler, der ebenso selbstlos wie torhungrig agiert. Und Julian Draxler wurde von Maradona als bester Spieler des Turniers geehrt, was trotz dessen guter Turnierleistung eine überraschende Entscheidung war, aber ziemlich typisch für die Logik der FIFA-Entscheidungen bei solchen Wettbewerben ist.
Noch in der Nacht fingen die Fußballtexperten aus aller Welt an zu schaudern: Wer soll eigentlich diese deutschen Fußballer in den Griff bekommen in den nächsten Jahren? Schließlich hatte der DFB ja nur wenige Tage zuvor den Europameistertitel der U21 gewonnen. Wie erreichen die Deutschen eine solche Tiefe im Kader, dass es ausreicht, um bei so einem Spitzenturnier zu triumphieren? Joachim Löw beeilte sich am Sonntag zu versichern, die Deutschen würden nun nicht auf Jahre hinaus unschlagbar sein, wie es 1990 einst Franz Beckenbauer nach dem WM-Sieg mit Aussicht auf Zuwachs aus der DDR formuliert hatte: »Wir haben sicher Spieler, denen diese beiden Turniere viel Selbstbewusstsein geben, aber für diese Spieler fängt die Arbeit jetzt erst an, die wichtigen Turniere folgen noch.«
Auf Twitter wurden dennoch emsig Listen weitergeleitet, in denen aufgeführt war, wer denn alles nicht dabei war bei den Siegen der Deutschen. Den neuen U21-Europameistern fehlten bei ihrem Turniersieg zehn ihrer besten Spieler, etliche im Confed Cup im Einsatz. In Sachen Confed-Cup-Elf wiederum waren all die großen Namen verzeichnet, die bei diesem Sieg nicht dabei waren: von Neuer bis Özil, von Kroos bis Khedira. Für die notorische titellosen Fußballerfinder aus England fasste Ex-Stürmer Gary Lineker das Entsetzen über die Deutschen in einem lustigen Tweet zusammen: »Sie sind aber Scheiße in Cricket!«
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