Berlin neu kartographieren
Zwischen Alltag und Ausnahmezustand: Die Hauptstadt aus Sicht von Geflüchteten
Der Berliner Oranienplatz und die ehemalige Gerhard-Hauptmann-Schule sind durch ihre Besetzung symbolische Orte geworden für den Kampf um die Rechte von Geflüchteten. Erstmals wurden Menschen sichtbar, die sonst in Heimen und Lagern fernab von der Öffentlichkeit leben. Jahre nach den Geschehnissen in Berlin haben Künstler und Künstlerinnen zusammen mit den Geflüchteten die Erfahrungen und Erkenntnisse dieser Raumgreifung in interaktiven Stadtkarten festgehalten. Im Projekt »Berlin Field Recordings. Mapping along the Refugee Complex« werden anhand von Zeichnungen, Kartographien und Erzählungen die urbanen Erfahrungen der Geflüchteten auf Papier und ins Netz gebracht.
2015 und 2016 entstanden im Rahmen von Veranstaltungen im Maxim Gorki Theater (»Berlin Field Recodings«) und im Haus der Kulturen der Welt (»Connecting Spaces«) Aufzeichnungen mit den städtischen Erfahrungen von Geflüchteten, aus denen später die Mappings entwickelt wurden. Sie sind der Versuch einer grafischen Übersetzung der dabei zutage tretenden zwischenmenschlichen und internationalen Konstellationen.
Wie bewegen sich Geflüchtete durch eine Stadt, in dem Fall Berlin? Wo nehmen sie öffentlichen Raum ein und welche Bilder entstehen dadurch? Diesen Fragen geht das Kunstprojekt des Zentrums für städtische Angelegenheiten »MetroZones« in drei Kapiteln auf den Grund.
Das erste Kapitel »in the system« beginnt sehr düster. In den Zeichnungen von Sarnath Banerjee erzählen vier geflüchtete Menschen von dem Deutschland, das sie kennengelernt haben. In einfach gehaltenen Comicpanels in schwarz-weiß erhascht man einen Einblick in Flüchtlingsunterkünfte und den Alltag von Menschen, die in dieser Zwischenwelt festgehalten werden: Fingerabdrücke, die zum Verhängnis werden, Selbstmorde im Heim und ein unsicherer Aufenthaltsstatus, obwohl der Erzähler beinahe ein Jahrzehnt in diesem Land lebt.
»Oranienplatz was the fighting place, the school was for sleeping«
Das zweite Kapitel »sur place« rekonstruiert die urbane Raumnahme der Geflüchteten seit 2012 in Berlin. Fünf Geflüchtete bilden in Fragmenten und Erzählungen, Textcollagen und Videos die Besetzung des Oranienplatzes und der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule nach. »Der Oranienplatz war gut, weil man dort immer Freunde gesehen hat«, führt eine Erzählerstimme die Bedeutung dieses Ortes in der Stadt aus. »Wir haben zusammen über das Leben nachgedacht, das wir hier führen.«
In örtlichen und zeitlichen Überschneidungen treten die Kämpfe auf der Stadtkarte Berlins hervor. Geflüchtete aus Lampedusa forderten ein Bleiberecht und Recht auf Arbeit, andere das Ende der Lagerpflicht, der Residenzpflicht und der Abschiebungen. Berlin wird zum Mikrokosmos: Das Handlungsfeld der Menschen spannt sich zwischen dem O-Platz, der Schule und Demonstrationen; Polizeikontrollen werden zu neuen Grenzen, die man immer wieder überwinden und passieren muss.
Der Abschnitt »Wiederaufnahmeprobe« stellt die Frage nach selbstorganisierten Zentren von Geflüchteten in der Stadt und wertet die 18-monatige Besetzung der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule von 2013 bis 2014 und die Räumung dieser aus.
In der neuen Kartierung der Hauptstadt gehen dabei Erinnerungen und Wünsche ineinander über. Rhizomartig durchkreuzen Fäden Fotografien und Karten, Namen sowie Orte und vernetzen Schicht um Schicht die Erfahrungen der Beteiligten. Diese Lebenslinien und Bewegungsmuster, die Welt in den Plätzen und Straßen Berlins und das Handy darin als der Navigator stehen im Gegensatz zu der Stagnation in den Heimen und Unterkünften, in denen Menschen auf das reine Existieren reduziert werden.
Das neu gesponnene Netz kann diese Isolation überwinden: »Im gemeinsamen Handeln webt sich ein Narrativ mit hoffentlich wieder offenem Ausgang.«
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