Neoliberaler Verteidiger des Status quo
Der Publizist Alexander Görlach setzt den linken Protest in Hamburg mit rechtem Populismus gleich - und bedient dabei die Extremismustheorie
Wenige Tage vor Beginn des G20-Gipfels in Hamburg erregte der Artikel »Links wie rechts nur Zerstörung« bei »Zeit Online« große Aufmerksamkeit. Der Publizist, Unternehmer und FDP-Anhänger Alexander Görlach setzte dabei in großem Stil die geplanten Proteste in der Hansestadt mit einem »rechtem Populismus« gleich und erläuterte gleichzeitig sein Weltbild. Eine Antwort zu seinen Thesen:
»Die G20 haben sich das Ziel gesetzt, Zukunftsaufgaben […] zu diskutieren und anzugehen. Daran ist [...] nichts auszusetzen. Hier gibt es jede Menge zu tun, es gibt großen Optimierungsbedarf. Also haben Proteste einen Sinn, während oder im Zuge des G20-Gipfels, nicht aber gegen diese Zusammenkunft.«
Die G20 sind kein demokratisches legitimiertes Gremium. 173 Staaten wurden nicht eingeladen. Ein großer Teil der anreisenden Staats- und Regierungschefs verfügt über keine oder nur eine eingeschränkte demokratische Legitimität. Trump bekam keine Mehrheit der Stimmen, Erdogan wird Wahlfälschung vorgeworfen, Putin geht rigoros gegen Oppositionelle vor. Gleichzeitig gibt es einen neoliberalen Block unter Merkel, der mit seiner Austeritätspolitik Länder wie Griechenland zerstört und Arbeitnehmerrechte schleift. Gegen beide Sorten von Politikern - und ihre symbolische wie kostenintensive Zurschaustellung von Macht in Hamburg - macht es aus emanzipatorischer Sicht sehr wohl Sinn, zu demonstrieren. Die Vertreibung von Obdachlosen und das Übergehen von Gerichtsentscheidungen oder Demonstrationsverbotszonen sind da nur die Spitze des repressiven Eisbergs. Die von Görlach vollzogene Spaltung in gute und böse Demonstranten ist durchschaubar. Erwartungen hat darüber hinaus sowieso kaum jemand: Bei keinem der letzten Gipfel wurden signifikante Lösungen zur Klimafrage oder der sozialen Gerechtigkeit erarbeitet.
»Für Globalisierung und Digitalisierung haben [die Rechtspopulisten A.d.R.] nicht viel übrig, Fortschritt ist ihnen ein Gräuel, ihre Kultur ein nationaler Monolith. Das ist nicht sehr verschieden von dem Weltbild jener Linken, die ebenfalls gegen Globalisierung und Digitalisierung zu Felde ziehen.«
Die wissenschaftlich nicht haltbare »Extremismustheorie«, wonach die Gesellschaft nach einem Hufeisen mit »demokratischer Mitte« und »extremen Rändern« aufgebaut ist, wird von Görlach in Stellung gebracht. Der Verfassungsschutz bedankt sich im Geiste, erlaubt dieses Konzept ja seine Überwachung und Diffamierung von linken Protesten. Aber wie kommt der Publizist in seiner pauschalisierenden Sicht darauf, dass die Demonstranten in Hamburg gegen Digitalisierung und Globalisierung wären? Viele junge Protestierer entstammen doch selbst dem medialen und technologischen Dienstleistungsprekariat und haben soziale Netzwerke schon genutzt, als das Thema für Parteien noch Neuland war. Gleichzeitig sind ihnen aber auch die Gefahren von Massenüberwachung und Jobverdrängung durch die Digitalisierung bewusst. Im Gegensatz zu Görlachs fortschrittsgläubiger und systemerhaltender IT-Euphorie wissen sie: Es kommt darauf an, wer die Technologie besitzt und wofür diese genutzt wird. Dass die Demonstranten darüber hinaus gegen Globalisierung wären, ist ein alter wie falscher Vorwurf: Sie wenden sich gegen eine neoliberale und autoritäre Globalisierung, in der Geld und Waren sich frei bewegen dürfen, während Menschen eingesperrt und ausgebeutet werden. Eine Globalisierung von unten, der Solidarität ist das Ziel. Oder wie es Subcomandante Marcos im lakandonischen Urwald sagte: »Eine Welt, in der viele Welten Platz haben.«
»Muss man nicht den Krawallmachern von links dasselbe zurufen wie denen von rechts, nämlich dass eine vernetzte Welt eine bessere ist als eine, in der Menschen isoliert leben und so einer Willkürherrschaft viel unmittelbarer ausgeliefert sind? […] [Bernie Sanders oder Volker Kauder] bewegen sich innerhalb der staatlichen Ordnung [...]. Radikale Populisten von rechts und von links hingegen arbeiten an der Überwindung der Ordnung, die sie vorfinden, ihrer Zerstörung.«
Erneut die Extremismustheorie. Erneut stellt Görlach Linke als rückwärtsgewandt und altmodisch da. Dabei sind die linken Protestierer nicht prinzipiell gegen Vernetzung, sondern gegen eine einseitige Vernetzung, die nur den Herrschenden und ihren Machtapparaten sowie transnationalen Unternehmen zu Gute kommt. Alleine die Mobilisierung zeigt das Gegenteil: Aus ganz Europa und darüber hinaus werden Aktivisten nach Hamburg strömen. Die Hansestadt wird dadurch ein praktischer wie symbolischer Sammelpunkt der verschiedenen Bewegungen. Eines der Ziele des Alternativgipfels, wie auch der Proteste, ist ja gerade die Vertiefung der Kontakte und die Entwicklung einer gemeinsamen Perspektive sowie Strategie. Sicher wird es unter den Teilnehmern viele geben, die die existierende Ordnung überwinden wollen. In einer Welt, in der acht Personen so viel besitzen wie die andere Hälfte der Menschheit und in der der Klimawandel fortschreitet, ist das aber vielleicht nicht schlimm. Es gibt schließlich viele Wege Ordnungen zu überwinden, auch friedliche. Gefährlich bleibt die Gleichsetzung der rechten mit der linken Utopie, der rechten mit der linken Gewalt. Wie sagte das kommunistische Känguru: »Die einen zünden Ausländer an, die anderen Autos. Und Autos anzünden ist schlimmer. Denn es hätte mein Auto sein können. Ausländer besitze ich keine.«
»Die letzten 25 Jahre waren bestimmt von der Globalisierung und der Digitalisierung, der Fortschritt hat eine bis dato unbekannte Rasanz entwickelt. […] Veränderungen stehen an, deren Auswirkungen noch unbekannt sind. Das ist einer der Gründe, warum Angehörige sowohl der Unter- als auch der oberen Mittelschicht beispielsweise Donald Trump gewählt haben. […] [Auch die linken Populisten] nutzen die Angst der Gesellschaft vor der Zukunft aus.«
Die Angst vor »Fortschritt«, vor »Zukunft« und vor »Veränderungen« bereitet nicht den Menschen Sorgen - sondern die Vorstellung eines alternativlosen Fortschritts, der sich alleine in Wachstumsraten der Wirtschaft und neoliberalen Reformen misst; in einer alternativlosen Zukunft, die immer öfter den Menschen keine Perspektiven bietet; in alternativlosen »Veränderungen«, die allzu oft Stellenabbau bedeuten. Görlach schafft es in einer erstaunlichen Art und Weise, den globalen Aufstieg der rechten Kräfte zu erklären, ohne auch nur einmal das Wort »Kapitalismus« zu benutzen. Ihm sei wärmstens das Buch »Rückkehr nach Reims« des französischen Soziologen Didier Eribon empfohlen. Die politische, ökonomische und ökologische Vielfachkrise, die die Welt gerade erlebt, hat ihren Ursprung auch in der vermeintlichen Alternativlosigkeit des längst zerfallenden Status Quo. Neoliberale, aber eben auch bewusst liberale Apologeten wie Görlach vertreten trotzdem weiter vehement diese Perspektive. Trotz der augenscheinlichen Gewissheit ihrer Durchhalteparolen fühlen sie sich bedroht: Von der nationalistischen, autoritären Krisenantwort von Trump und Co. Aber auch von einer neuen linken Hoffnung, die ihrer Macht gefährlich werden könnte.
»Von links wird das Märchen von Verteilungsgerechtigkeit und Pazifismus munter weitererzählt [...] Manch einer im linken Lager mag verstanden haben, dass die Menschen in Bangladesch noch nicht einmal mehr ihren schlecht bezahlten Job behalten werden, sollten wir in einer nicht allzu fernen Zukunft unsere Autos und iPhones zu Hause ausdrucken. Aber was folgt daraus? Ich möchte hier keineswegs für den Erhalt unfairer Arbeitsbedingungen werben, sondern darauf hinweisen, dass wir die wirklichen Probleme nicht besprechen.«
Für Görlach sind Verteilungsgerechtigkeit und Pazifismus ein naives Märchen. Ein Hohn, wenn man bedenkt, dass tagtäglich Tausende von Aktivisten für diese Ideale kämpfen und manchmal auch sterben müssen. Auch in Hamburg werden unzählige Demonstranten trotz Wasserwerfern, Tränengas und Polizeiknüppel für Umverteilung und Frieden einstehen. Dass Menschen in Entwicklungsländern zwangsläufig ihre Jobs verlieren, ist zudem nicht gesagt. Die Wirtschaft unterliegt keinen Naturgesetzen, sondern kann gestaltet und verändert werden. Eine Welt, in der sowohl die Menschen in Bangladesch, als auch in Deutschland gut bezahlte Arbeit oder ein bedingungsloses Grundeinkommen haben, ist duchaus möglich. Im besten Fall druckt man sich in beiden Ländern die Autos einfach aus. Görlach lamentiert letztlich, dass er die »wirklichen Probleme« besprechen will. Dabei vergisst er natürlich eine Kleinigkeit: Der Großteil der Menschen hat keinen Zugang zu den privilegierten Räumen, Treffen und Kommentarspalten, die für ihn normal sind. Manche Stimmen hört man erst, wenn sie sich zum Protest versammeln. Wie in Hamburg.
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