So klingt der Amazonas

Vorbote des Festivals Young Euro Classic: Das Colombian Youth Philharmonic gastierte

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Musiker haben Sinn für Effekte: Als das Konzert des Colombian Youth Philharmonic beginnt, treten zunächst einige Muschelbläser von hinten in den Saal. Vogelflötenpfeifer gesellen sich hinzu; auf dem Podium sirren die Streicher wie ein Moskitoschwarm. Der Amazonas wird klanglich lebendig mit »América Salvaje«. Dann sorgen Perkussion und Marimba in diesem Stück des peruanischen Komponisten Jimmy López für lateinamerikanisches Flair. Und mitten im lautmalerischen Durcheinander hebt das tiefe Blech zum Choral an.

Der Choral symbolisiere den Einfluss Europas, hatte zuvor Dirigent Andrés Orozco-Estrada erklärt, der auch als Conférencier durchgehen könnte. »Die aus dem Westen haben uns ja entdeckt«, sagte er augenzwinkernd. Der Dirigent stammt, wie auch die jungen Musiker, aus Kolumbien. Er ist aber schon lange in Europa aktiv, derzeit als Chef des Sinfonieorchesters des Hessischen Rundfunks.

Die »Filarmónica Joven de Colombia« besteht seit 2010, als Stiftungsprojekt einer kolumbianischen Bankengruppe. Alljährlich werden hundert Nachwuchsmusiker im Alter unter 24 Jahren ausgewählt, die an Workshops mit Mitgliedern namhafter Orchester teilnehmen.

Derzeit ist das Jugendorchester auf seiner ersten Europa-Tournee unterwegs. Am Montag machte man Station im Berliner Konzerthaus, wo die Turnschuhe tragenden Musiker eine Kombination von südamerikanischen Werken, Strauss-Liedern und Strawinskis »Le Sacre du Printemps« boten. Gedacht ist das Ganze als Vorgeschmack auf das Festival Young Euro Classic, das ab Mitte August für zwei Wochen das Konzerthaus bespielt.

Die Werke des 2015 verstorbenen Kolumbianers Jaime León sind hierzulande Raritäten. Ganz offensichtlich hatte der Komponist eine Vorliebe für Broadway-Musicals. Die Kolumbianer spielen drei seiner Orchesterlieder aus den späten Siebzigern; sie klingen nach Bernstein und Gershwin, gewürzt mit einer perkussiven Latin-Prise.

Andrés Orozco-Estrada erweist sich als Ausdrucksdirigent vom Schlage eines Gustavo Dudamel oder Kristjan Järvi. Der 39-Jährige dirigiert engagiert, mit großem Körpereinsatz, auf dem Podest springend und tänzelnd.

Das mit acht Kontrabässen und zehn Celli massiv besetzte Orchester lässt der kolumbianischen Sopranistin Juanita Lascarro wenig Gestaltungsspielraum. Anders ist das bei den vier dargebotenen Orchesterliedern von Richard Strauss, der als vollendeter Instrumentationskünstler die Stimme stets wie auf Wolken bettet. Andrés Orozco-Estrada entlockt den jungen Musikern einen sanften Streicherteppich, subtile Bläser-Klangfarbenvielfalt und zarte dynamische Nuancen. Eine tolle Leistung! Wenig Verständnis für die Innigkeit der Strauss-Lieder zeigt hingegen die Solistin. Juanita Lascarro sang wenig textverständlich, mit effektheischendem Vibrato und schriller Höhe.

Nach der Pause beweist das Orchester seine Qualitäten an einem besonders temperamentvollen, polyrhythmisch vertrackten Werk: Igor Strawinskis »Sacre«. Dazu bewegen sich die Musiker in einer szenischen Choreografie, entworfen vom Sasha-Waltz-Choreografen Gabriel Galindez Cruz. Schon der Einzug der Musiker ist theatralisch gestaltet: Von hinten ziehen die Musiker ein, langsam schreitend, gesenkten Hauptes. Sie tragen einen liegenden Kontrabass wie einen Sarg. Dieser zeremonielle Marsch eröffnet Strawinskis Komposition, die von einem archaischen Opferritual handelt.

Die Aufführung zeigt jede Menge Bewegungsaktion: Mit ihren Schlegeln winkende Schlagwerker, in die Höhe gereckte Geigenbögen, wedelnde gelbe Tücher. Die Musiker schwanken auf ihren Stühlen und kreiseln mit den Instrumenten, als würden Windstöße durchs Orchester fahren. Hinzu kommen Lichteffekte und Videosequenzen auf einer riesigen Leinwand. Einiges davon ergab starke Bilder. Vieles wirkte beliebig. Die Erfahrung der Musik wurde nicht bereichert.

Am Ende johlt und pfeift das Publikum. Young Euro Classic hat wirklich die begeisterungsfähigsten Besucher aller Berliner Klassikveranstaltungen; leider aber auch die unruhigsten und Smartphone-versessensten.

www.young-euro-classic.de

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