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G20: »Draufschlagen funktioniert einfach nicht«

Debatte über Strategie der Hamburger Polizei / Kritik auch von Gewerkschafter / Zweifel an Behauptungen von Einsatzleiter Dudde

  • Lesedauer: 7 Min.

Berlin. Nach dem G20-Gipfel bleibt das Vorgehen der Polizei ein zentraler Punkt in der Debatte. Und die ist nicht einfach zu führen, auch deshalb, weil die von Einsatzleiter Hartmut Dudde geführten Beamten zuerst wegen ihrer zu harten Linie in der Kritik standen, nun aber aus der Politik der Vorwurf ertönt, sie habe zu zögerlich reagiert. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und Innensenator Andy Grote, beide SPD, wiesen Forderungen nach Rücktritten zurück.

Die kamen aus beiden Seiten des politischen Spektrums. »Das war die größte politische Fehleinschätzung eines Hamburger Bürgermeisters aller Zeiten«, sagte der Hamburger CDU-Fraktionschef André Trepoll. Die Linkspartei in Hamburg forderte zudem einen Untersuchungsausschuss.

»Demonstranten wie Polizisten wurden zum Teil schwer verletzt, die Auswirkungen auch auf unbeteiligte Bürger sind enorm«, hieß es nach den vor allem nächtlichen Randalen. Der Senat habe Zusicherungen nicht eingehalten, die Bürger zu schützen. Deshalb sei ein Untersuchungsausschuss nötig. In diesem müsse »der ganze Komplex unter die Lupe genommen werden«, so die Linksfraktionsspitze - »von der Entscheidung, den Gipfel mitten in Hamburg abzuhalten, über das Einsatzkonzept der Polizei, die Einschränkungen der Grundrechte und die Beeinträchtigungen für die Bürger bis hin zu den unfassbaren Gewalttaten«.

Beim größten Polizeieinsatz in Hamburgs Nachkriegsgeschichte sei »alles gut vorbereitet« gewesen, wehrte sich dagegen Scholz. »Die Polizei hat alles getan, was man tun kann.« Von »heldenhafter« Arbeit der Beamten war die Rede. Und Scholz erklärte auch, dass er es nicht für angebracht hält, dass überhaupt Kritik an der Polizei geäußert wird: »Ich will ausdrücklich sagen, dass ich nicht verstehen kann, wenn jetzt oder in den nächsten Tagen die wirklich heldenhafte Tätigkeit der Polizei kritisiert wird.«

Kritik vom grünen Polizeigewerkschafter

Doch die Kritik kommt sogar aus der Polizei selbst. Die Polizeigewerkschaft PolizeiGrün kritisierte die Strategie von Einsatzleiters Dudde. Die Polizei habe es »in Hamburg zwar mit Abstrichen geschafft, den Gipfel zu schützen«, sagte der Vorsitzende Armin Bohnert dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. »Sie hat aber auf keinen Fall ihr Ziel erreicht, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schützen.«

Bohnert verwies darauf, dass Randalierer »unbehelligt durch Wohnviertel ziehen« konnten und im Schanzenviertel über Stunden die Barrikaden brannten. Die für solche Situationen bereitstehenden Wasserwerfer »hätten auch ohne Einsatzeinheiten erst einmal vorrücken und die Barrikaden löschen können«. Stattdessen seien Polizeieinheiten »zum Teil sehr hart mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen friedlichen Protest vorgegangen«. Es blieben noch viele Fragen offen, sagte der Gewerkschafter.

Innensenator Grote hatte am Sonntag behauptet, niemals lasse die Hamburger Polizei »die Bevölkerung dieser Stadt im Stich, niemals«. Die Beamten hätten am Freitagabend im Schanzenviertel nicht gleich vorrücken können, weil sie befürchtet habe, in einen Hinterhalt zu geraten. Es hätten Informationen vorgelegen, wonach Autonome Gehwegplatten und Molotowcocktails von Hausdächern auf Beamte werfen wollten. Die Polizei präsentierte dazu auch Bilder einer Wärmebildaufnahme, auf der zu sehen ist, wie ein Mann vom Hausdach einen Brandsatz auf einen Wasserwerfer schleudert, der aber nicht zündet. Für Anti-Terror-Einsätze geschulte Spezialeinheiten stürmten später dann auf das Dach und nahmen 13 Personen fest.

Zweifel an den Versionen von Dudde und Grote

Medien zweifeln aber an dieser Version. »Das SEK rannte erst gegen 23.40 Uhr zum Eckhaus. Der ›Tagesspiegel‹ sah, wie die Elitepolizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag heranstürmten. Zu dem Zeitpunkt tobten sich Autonome und Krawalltouristen schon fast vier Stunden im Schulterblatt aus. Waren die Dachbesetzer auch schon so lange aktiv?«, heißt es da unter anderem. Auch hätten »die reichlich vorhandenen Einsatzkräfte« andere Möglichkeiten gehabt, in dem Viertel vorzurücken.

Zudem war lange vor dem Gipfel immer wieder gewarnt worden, es würden auch zahlreiche Gewaltbereite anreisen. Daher sei verwunderlich, warum es erst Stunden dauerte, bis Sondereinsatzkräfte in der Nacht vor Ort waren. Der »Tagesspiegel« schreibt, Duddes Erklärung ziele darauf ab, »Verständnis zu wecken für eine Polizeiführung«, die Argumentation aber sei nicht sehr plausibel.

»Hat die Polizei mit unnötiger Härte die Eskalation erst provoziert?«, fragt die Deutsche Presse-Agentur in einer Übersicht zum Vorgehen der Beamten. Dabei geht es um den Vorwurf von Aktivisten, Gipfelkritikern sowie von Politikern der Linkspartei und der Grünen, dass am Donnerstag die bis dahin friedliche Demonstration »Welcome to Hell« grundlos angegriffen wurde. Die Polizei habe dort überreagiert und dazu beigetragen, dass die Stimmung gekippt sei.

Auch das weist Dudde zurück. Er stand schon mehrfach wegen seiner bekannten überharten Linie in der Kritik. Die Nachrichtenagentur zitiert nun aus Sicherheitskreisen, in denen es heißt, mit ihm an der Spitze sei von vorneherein klar gewesen, welcher Einsatzstil zu erwarten gewesen sei. Die Sicherheitsbehörden weisen Vorwürfe der Unverhältnismäßigkeit zurück und erklärt, sie habe keine andere Wahl gehabt - wegen vieler Vermummter und drohender Gefahr.

Einsatz gegen Demonstranten, die sich an Vereinbarung hielten?

Doch auch hierzu gibt es eine andere Version. Die Polizei hatte die bis dahin friedliche Demonstration kurz nach dem Start mit einem Riesenaufgebot gestoppt und kurz danach mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Knüppeleinsatz gesprengt. Die Begründung lautete: Es seien Vermummte an der Spitze des Aufzugs gesehen worden, diese sollten vom Rest der Demo getrennt werden.

Wie aber unter anderem ein Reporter bei »Zeit online« berichtet, der direkt Ort war, handelte es sich bei den Vermummten »um mehrere Hundert, größtenteils junge Leute, die überwiegend regelrecht uniformiert waren. Praktisch alle trugen schwarze Nylonregenjacken mit Kapuzen, die sie aufgesetzt hatten, und dazu Sonnenbrillen.«

Aber: Laut dem Kollegen hatte »der Versammlungsleiter der Autonomendemo nach eigener Darstellung mit dem Einsatzleiter der Polizei eine Übereinkunft erzielt«, laut der würden »Kapuzen und Sonnenbrillen« geduldet, »Schals und Tücher seien aber von der unteren Gesichtshälfte zu entfernen«. Wenn die Darstellung richtig ist, so der Reporter von »Zeit online«, habe »sich der Teil des Polizeieinsatzes, den ich selbst verfolgen konnte, praktisch ausschließlich gegen Versammlungsteilnehmer gerichtet, die sich an die Auflagen der Polizei gehalten haben«.

GdP und DPolG: Sah dramatischer aus als es war

Auffällig ist auch, dass nun, da sich der Rauch der brennenden Barrikaden verzogen hat, Polizeigewerkschafter zu Wort melden und erklären, die Krawalle, die eben noch von der Politik als besonders schlimm bezeichnet wurden, seien gar nicht so gravierend gewesen. Der für seine politisch rechts stehenden Äußerungen bekannte Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft DPolG, Rainer Wendt, wird mit den Worten zitiert: »Die Polizei hat die Lage im Griff. Wir sind von bürgerkriegsähnlichen Zuständen weit entfernt.« In einer großen Stadt wie Hamburg könne die Polizei nicht jede Straße absichern. Dass Autos oder Mülltonnen angezündet würden oder Scheiben zu Bruch gingen, lasse sich da nicht immer verhindern. »Die Bilder sehen dann zum Teil dramatischer aus als es ist.«

Ähnlich äußerte sich der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei GdP, Jörg Radek. Es sei »nichts aus dem Ruder gelaufen«. Die Ausschreitungen reihten sich ein in vergangene Randale-Aktionen der linken Szene.

Derweil hat die Polizei auch die Festnahmen bilanziert, die Deutsche Presse-Agentur spricht von einer »vergleichsweise geringen Zahl«: Es habe 186 Fest- und 225 Ingewahrsamnahmen gegeben, 82 Festgenommene wurden dem Haftrichter vorgeführt, dort wurden 37 Haftbefehle erlassen. Unter den Festgenommenen waren auch Franzosen, Italiener, Russen und Türken, wie es hieß.

Protestforscher Teune: Polizeistrategie »kolossal gescheitert«

Der Soziologe und Protestforscher Simon Teune kritisierte die Strategie der Polizei in der »Süddeutschen Zeitung« sehr deutlich. »Die Polizei hat von Anfang an Signale ausgesendet, dass Proteste in Hamburg keinen Raum haben. Sie hat die Übernachtungscamps nicht zugelassen. Sie hat eine Verbotszone eingerichtet, in der Protest nicht möglich sein sollte und am Donnerstag dann als Höhepunkt zerschlägt sie eine genehmigte Demonstration - aus nichtigen Gründen und in einer Form, die wahllos Menschen verletzt und gefährdet hat. Diese Vorgeschichte hat dazu geführt, dass die Leute, die die Polizei als Gegner sehen und ein Zeichen des Widerstands setzen wollen, angespitzt wurden.«

Dies sei keine Rechtfertigung für schwere Krawalle, so Teune weiter. Aber die Strategie der Hamburger Polizeiführung sei »kolossal gescheitert«. Seit Jahrzehnten verfolge man in der Hansestadt »die Taktik, draufzuhauen. Jetzt wurde beim G-20-Protest die Schraube noch einmal weitergedreht« - ohne dass dies zu einer Beruhigung beigetragen habe. »Das war Eskalation mit Ansage. Jetzt sitzt der Senat buchstäblich vor einem Scherbenhaufen«, so Teune. »Das präventive Draufschlagen funktioniert einfach nicht.« Er verwies stattdessen auf die Erfolge von deeskalierenden Konzepten. tos/Agenturen

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