- Politik
- Tod von Franziskus
Wider die Gleichgültigkeit
Ein befreiungstheologischer Aufruf, die Zuschauerrolle zu verlassen
In Nachrufen wird Papst Franziskus für vieles gelobt. Spannender ist aber, was in bürgerlichen Medien nicht über ihn geschrieben wird. So wird die konsequente antimilitaristische Position dieses Papstes größtenteils übergangen. In aller Deutlichkeit stellte er sich gegen die Aufrüstungslogik, digitalisierte Kriegsführung und atomare Bewaffnung in einem, wie er bereits lange vor Beginn des Krieges in der Ukraine sagte, laufenden »Dritten Weltkrieg auf Raten«. Sein Drängen auf Verhandlung statt Eskalation in der Ukraine und in Gaza brachte ihm internationale Kritik ein, auch und vor allem von liberalen Kräften innerhalb und außerhalb der Kirche, die sich vom Papst eine Stärkung der westlichen Position erwartet hätten.
Dafür war er nicht zu haben – und das nicht, weil er, wie jetzt auch vielfach zu lesen ist, als Argentinier ein Mann des globalen Südens war. Entscheidend war hier seine Positionierung als Theologe, als Christ: Seine Perspektive war es, die Verteidigung des Lebens der einfachen Menschen, der Armen, der Geflüchteten, der Ausgegrenzten über alle machtpolitischen Interessen von Staaten und Kapitalfraktionen zu stellen. Das hat er nicht nur in symbolischen Gesten zum Ausdruck gebracht, sondern zum Handlungskriterium gemacht. In deutlichen Worten und in der Ausrichtung seines Wirkens hat er die »Globalisierung der Gleichgültigkeit« nicht nur kritisiert, sondern Mitleid, Empathie, Barmherzigkeit propagiert – nicht auf persönliche Tugenden reduziert, sondern es als grundlegend für jede menschliche Gestaltung der Welt, und damit jede Politik. Dass eine solche Ausrichtung der Politik den Herrschenden aber nicht abzuringen ist, darin war er nicht naiv.
Deshalb hat er als wohl erster Papst konsequent auf andere politische Akteure gesetzt, zum Beispiel auf soziale Bewegungen weltweit. Bereits ein Jahr nach seiner Wahl lud er zu einem Welttreffen dieser selbstorganisierten Akteure einer Veränderung »von unten« in den Vatikan. Weitere solcher Zusammenkünfte folgten, auf denen Franziskus in Europa weitestgehend unbeachtete Reden gehalten hat, die nicht nur in außergewöhnlicher Schärfe Kritik an den herrschenden Verhältnissen übten, sondern das Vertrauen ausdrückten, dass es eben jene »organisierten Armen« sind, in deren Händen es liege diese Verhältnisse von der Wurzel aus zu verändern. Die katholische Kirche forderte er auf, den Bewegungen nicht fernzubleiben und deren Anliegen mit ihren Möglichkeiten zu unterstützen.
Dieses Bündnis jenseits der Welttreffen in größerem Maßstab voranzutreiben und auszubauen ist nicht gelungen, wohl auch weil weder die katholische Kirche noch die Linken dazu ernsthaft bereit waren. Damit haben beide jene Sensibilität für Zeitansagen vermissen lassen, die Papst Franziskus in vielen Bereichen auszeichnete: Ein Beispiel ist etwa seine klare Kritik an einer Digitalisierung, die die menschlichen Beziehungen maßgeblich verändert und einer umfassenden Logik der Verwertbarkeit aller Lebensbereiche folgt. Eine solche Kritik an der erbarmungslosen Profitlogik des Kapitalismus selbst, wie sie in dem programmatischen Satz »Diese Wirtschaft tötet« aus seinem Schreiben »Evangelii gaudium« zum Ausdruck kam, hat ihm viel Widerspruch eingebracht.
Kritik von Links an Franziskus wurde wegen seiner Haltung gegenüber dem Feminismus laut. Durchaus zurecht, wenn man bedenkt, dass er wenig Distanz zu einem kirchlichen Frauenbild zeigte, dass Frauen auf Hingabe und Mutterschaft festschreibt und über Jahrhunderte eine verhängnisvolle Wirkungsgeschichte entfaltet hat. Allerdings wird man etwa seiner Zurückhaltung in der Frage der Zulassung von Frauen zum Priesteramt nicht gerecht, wenn man sie nur als Antifeminismus deutet. Man muss sie auch in Beziehung setzen zu seiner Kritik am Klerikalismus in der Kirche überhaupt, der Priester zu Christen erster Klasse macht. Dass auch die Weihe von Frauen an diesem Klerikalismus nicht viel ändern würde, hat Franziskus gesehen.
Die Haltung in dieser Frage entsprach seiner Einstellung zu Fragen der Kirchenreform insgesamt. Strukturreformen etwa in Richtung einer Demokratisierung der Kirche durch mehr Partizipation hatten in seinen Augen Sinn, wenn sie auch mit einer konsequenten Ausrichtung auf das Evangelium, und damit die Armen und Ausgegrenzten dieser Welt verbunden blieben. Sie sollten der Kirche helfen, sich in den Dienst neuer sozialer und ökologischer Praxen zu stellen. Das hat die bundesdeutsche katholische Kirche, nicht nur die Bischöfe, sondern auch und gerade reformorientierte Laien, nicht verstanden. Die meisten gefielen sich lieber in einer Zuschauerhaltung, die aus der Distanz jede Reformbemühung als zu wenig weitreichend kritisierte.
Das aber war wohl die eigentliche Tragödie dieses Pontifikats: dass es zu viele gab, die kritisierten oder bewunderten und zu wenige, die jene Möglichkeitsräume, die der Papst öffnete, ausgefüllt haben. Die Bedingungen zu einer Neuausrichtung waren vielleicht so gut wie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) nicht mehr. Durch den Tod dieses Papstes schließt sich nun dieses Zeitfenster, vielleicht unwiderruflich. Es ist kaum zu erwarten, dass sein Nachfolger den visionären Mut aufbringt dem Entschiedenes entgegenzusetzen. Aber nun voller Sorge darauf zu warten, würde heißen, den Fehler des Zuschauens fortzusetzen. Stattdessen geht es nun um das Vermächtnis dieses Papstes: Wird es gelingen Bündnisse von Christ*innen und Nicht-Christ*innen zu schmieden, die der Ungleichheit, der Aufrüstung, den Grenzregimen und Nationalismen etwas entgegenzusetzen haben? Dazu bliebe noch viel, ja fast alles zu tun.
Benedikt Kern und Julia Lis sind katholische Theolog*innen und arbeiten am befreiungstheologisch inspirierten Institut für Theologie und Politik in Münster.
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