Werbung

»Ungeheure Brutalität«: Kritik an G20-Polizei hält an

Linkspolitikerin Kipping: Einsatzstrategie war falsch / Grünenpolitiker Ströbele verweist auf Berliner Deeskalationstrategie

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Nach den Krawallen am Rande der Proteste gegen den G20-Gipfel pochen Politiker von Linkspartei und Grünen auf eine kritische Aufarbeitung der Polizeieinsätze. Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, sagte, »kritische Fragen sind sehr wohl berechtigt und Teil unseres demokratischen Auftrags«. Gegenüber dem »Tagesspiegel« verwies sie auf das Vorgehen »etwa gegen friedliche Blockaden und die Camps«. Dort, »wo es darauf angekommen wäre, Straftaten zu unterbinden, gab es eine auffällige Abwesenheit«, so die Politikerin, die vor Ort in Hamburg war.

Mit Blick auf die politische Debatte seither sagte Kipping, sie »halte nichts von einer argumentativen Verquickung nach dem Motto: Man kritisiere nur dann glaubwürdig die Gewalt, wenn man die Polizei-Einsatzleitung von jeder Kritik ausnimmt. Gerade wenn einem Deeskalation wichtig ist, muss man sagen, die Einsatzstrategie war falsch«. Für diese könnten »die einzelnen Polizisten nichts, aber sehr wohl die Einsatzleitung, die die falschen Schwerpunkte gesetzt hat«.

Vorwürfe, sie hätte sich nicht hinreichend von Gewalt abgegrenzt, wies Kipping abermals zurück. Dies sei »einfach falsch und wohl eher unter Wahlkampf einzuordnen«. Politiker der Union und der SPD sowie Polizeigewerkschafter hatten sich über eine Aussage der Linkspolitikerin empört, mit der sie zu Beginn der Gipfelproteste das Polizeivorgehen kritisiert hatte. »Ich habe zeitnah und wiederholt klargemacht, dass Autos anzuzünden oder Läden zu plündern oder Steine auf Menschen zu werfen Straftaten sind und wir das auf das Schärfste verurteilen«, sagte Kipping nun erneut. Die Randale habe den friedlichen und notwendigen Protesten einen »Bärendienst« erwiesen.

Auch ihr Parteikollege Bernd Riexinger sagte am Montag, »wer Autos anzündet, Supermärkte plündert und Polizisten angreift, drückt keinen Protest aus«. Das habe »mit linker Politik und linkem Widerstand nichts zu tun«. Abgeordnete seiner Partei aus Bund und Ländern hätten sich während des gesamten Gipfels in Hamburg um Deeskalation bemüht. Die einzige von der Linken mitorganisierte Demonstration sei friedlich verlaufen, betonte er mit Blick auf den von dem Bundestagsabgeordneten Jan van Aken angemeldeten Großaufmarsch am Samstag, die von einem breiten Initiativbündnis mitgetragen wurde. Dabei hatten fast 80.000 friedlich gegen die G20-Politik demonstriert.

»Das Hinterfragen der Strategie der Polizeiführung und der politisch Verantwortlichen ist mitnichten eine Rechtfertigung der Krawalle, sondern eine Notwendigkeit«, sagte Riexinger. Andere Vorgehensweisen der Polizei seien längst erprobt, »man kann erfolgreiche Deeskalationsstrategien einüben«. Es helfe nicht, nun »mit Schaum vor dem Mund wieder härtere Gesetze zu fordern«.

Jan van Aken forderte derweil im Deutschlandfunk den Rücktritt des Hamburger Innensenators Andy Grote von der SPD. Unter dem Politiker seien im Vorfeld des Gipfels demokratische Grundrechte ausgehebelt worden, er habe Protestcamps behindert und großflächige Demonstrationsverbote verhängt. »Grote hat alles verbockt, was zu verbocken war«, so van Aken. Den Rücktrittsforderungen gegen Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz von der SPD wollte sich van Aken dagegen nicht anschließen.

Van Aken forderte auch dazu, bei der Beurteilung der linken Demonstrierenden zu differenzieren. »Alles, was schwarze Klamotten anhat, über einen Kamm zu scheren, ist nicht zielführend«, sagte van Aken mit Blick auf die in Medien meist unterschiedlos als »Autonome« bezeichneten Gruppen. Der Bundestagsabgeordnete kritisierte die Gewalt am Rande des Gipfels, diese habe nichts mit einer linkspolitischen Ausrichtung zu tun. Zugleich stellte er sich gegen die nun lauter werdenden Rufe, das Hamburger Kulturzentrum »Rote Flora« zu schließen. Das linke Haus habe eine wichtige Funktion, auch wenn dort Strömungen und Personen vertreten seien, die der etablierten Politik nicht gefielen.

Auch der Grünenpolitiker Hans-Christian Ströbele warf der Hamburger Polizei vor »viel falsch gemacht« zu haben. »Am Donnerstagabend ist sie mit ungeheurer Brutalität in eine Demonstration gegangen. Das hat auch bei vielen nicht vermummten Demonstranten große Aggressivität ausgelöst und sie radikalisiert«, sagte Ströbele der »Rheinischen Post«. Er kritisierte auch das Vorgehen der Polizei am Folgeabend, als es zu stundenlagen Gewaltexzessen im Schanzenviertel kam. »Völlig unverständlich ist, warum die Polizei Freitagnacht erst mal drei Stunden lang Straftaten hingenommen hat, bevor sie ins Schanzenviertel gegangen ist.«

Die Randale in der Form wäre in Berlin mit der erfolgreichen Deeskalationsstrategie der dortigen Polizei nicht möglich gewesen. »Ich verstehe nicht, wieso die Hamburger Polizei von den Berliner Kollegen deren Erfahrungen nicht abgerufen hat«, erklärte der Grünen-Politiker. Gleichzeitig verurteilte er die Gewalttaten scharf. »Wer einen Molotow-Cocktail schmeißt, plündert oder Autos anzündet, verübt eine schwere Straftat und diese muss verfolgt werden«, sagte Ströbele. Agenturen/nd

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.