G20-Randale: Protestforscher für Kommission
Dieter Rucht plädiert für unabhängige Untersuchung statt Mühlen der Parteipolitik / Gegen Schließung der Roten Flora
Berlin. Nach den Randalen am Rande der G20-Proteste in Hamburg und den Polizeiübergriffen hat der Berliner Sozialforscher Dieter Rucht eine unabhängige Untersuchungskommission gefordert. »Man muss aus diesem Fall Hamburg Konsequenzen ziehen, aber nicht nur durch weitere Diskussionen ohne konkretes Ergebnis. Sondern indem man eine Kommission einrichtet, die die Ereignisse zum einen gründlich untersucht und recherchiert, was genau abgelaufen ist«, sagte Rucht der Deutschen Presse-Agentur. »Zum zweiten sollte diese Kommission Lehren ziehen: besonders für die Politik und für die Polizeiführung; aber auch für die friedlichen Demonstranten und deren Praxis.«
Grundsätzlich zeigte sich Rucht von den Krawallen nicht überrascht, allerdings vom Ausmaß der Zerstörung. Ein Problem sei gewesen, dass »schon im Vorfeld alles hochgekocht wurde«. Bereits die oft genannte Zahl von 8.000 erwarteten Gewaltbereiten sei übertrieben gewesen. »Die erscheint mit immer noch viel zu hoch. Nach Beobachtungen sprechen wir vielleicht von 1.200 bis 1.500 Gewaltbereiten.«
Zudem habe die Polizei sich »missglückte Aktionen« geleistet, allerdings hätten viele Demonstrierende gezielt die Gewalt gesucht. Zu bestimmten Abendzeiten hätte dann noch ein unpolitischer Mob in den von der Polizei verlassenen Straßen getobt, so der Wissenschaftler. »Da waren dann Kick, Erlebnishunger, Abenteuerlust der Antrieb.«
Rucht verwies auf erfolgreiche Kommissionen, die es in England und den USA nach massiven Krawallen und Ausschreitungen gab. Einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss lehnte der emeritierte Berliner Professor klar ab. »Dann wird alles durch die Mühlen der Parteipolitik gedreht. Da gibt es schlechte Erfahrungen. Nein, es muss eine unabhängige Kommission sein von Menschen, die mit diesen Fragen zu tun haben und die aus dem Abstand heraus ganz kühl und nüchtern bilanzieren.«
Mitglieder müssten unabhängige Fachleute sein, sagte Rucht. Denkbar wären seines Erachtens Wissenschaftler, Beobachter der Ereignisse, auch ein Vertreter der Polizei wäre möglich. Ausgewertet werden müssten Akten, Aufzeichnungen, Filme und auch Beschreibungen von Journalisten und anderen Zeugen. Ein Jahr Zeit könne so eine Analyse dauern.
Eine Schließung des linke Zentrums Rote Flora lehnte Rucht ab. »Das würde das Problem nicht beseitigen. Die Leute, die da wohnen, und die Aktivisten sind ja damit nicht weg. Die verteilen sich über andere Zentren in der Stadt. Das wäre nur eine Problemverschiebung.« dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.