Hohles Vollbeschäftigungsgeschwätz

Heinz-J. Bontrup über das neueste alte Wunderheilmittel der Unionsparteien und Bundeskanzlerin Angela Merkel

  • Heinz-J. Bontrup
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ein Wahlprogramm mache es möglich, auch einmal zu träumen«, sagte Angela Merkel. In dieses Kapitel, schrieb die »Neue Zürcher Zeitung«, gehöre wohl das Ziel, bis 2025 Vollbeschäftigung zu erreichen. »Dann wird jedoch schon die übernächste Regierung am Ruder sein. Rechenschaft muss man so dem Wähler nicht ablegen«, urteilte das Medium. Aber haben Politiker das jemals gemacht? Eher nicht. Man schaue sich dazu nur die nicht mehr zu toppende Verantwortungslosigkeit der Politik beim Bau des Berliner Flughafens an. Das Gedächtnis des Wahlvolkes ist viel zu kurz - zumal in einer sich immer schneller drehenden Krisenwelt. Das wissen Politiker nur zu gut. Und wem ist noch wirklich bewusst, dass wir in Deutschland seit über 40 Jahren Massenarbeitslosigkeit mit Millionen von Einzelschicksalen und riesigen fiskalischen gesellschaftlichen Kosten in Milliardenhöhe zu beklagen haben?

Jetzt spricht die CDU/CSU auf einmal in ihrem Wahlprogramm von einer Vollbeschäftigung bis 2025. Trotzdem soll die Arbeitslosenquote dann aber noch bei 3 Prozent liegen. Das wären immer noch etwa 1,3 Millionen Menschen ohne jegliche Arbeit beziehungsweise einer Arbeitszeit von Null. Hinzu kämen weiter die Millionen nur Teilzeit- und geringfügig Beschäftigter im Niedriglohnsektor, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens ihr Leben fristen müssen. Von dem Phänomen der Working Poor spricht die CDU/CSU in ihrem Wahlprogramm erst gar nicht. Dabei hat sich laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung die Zahl der Beschäftigten in Deutschland, die trotz Arbeit unter die Armutsschwelle fallen, von 2004 bis 2014 mehr als verdoppelt. Gab es 2004 noch knapp 1,9 Millionen arbeitende Arme, so waren es 2014 schon fast 4,1 Millionen. Ein derartiger Anstieg war in keinem anderen EU-Land zu verzeichnen.

Dies ist besonders deshalb zu erwähnen, weil im selben Zeitraum in Deutschland die Zunahme an Erwerbstätigen von allen EU-Ländern am größten war. Mehr Arbeit ist also noch lange keine Garantie für weniger Armut. Die Ursache für die Erwerbsarmut, die dann nach dem Berufsleben unweigerlich zur Altersarmut führt, ist schnell ausgemacht. Seit der rot-grünen Agenda 2003 lastet ein enormer Druck auf den Arbeitslosen, Jobs mit schlechter Bezahlung oder niedrigerem Stundenumfang annehmen zu müssen. Aber auch die Beschäftigten kuschen.

Hieran soll sich laut CDU/CSU nichts ändern. Zur Mystifikation werden dafür die hinlänglich bekannten hohlen Phrasen wie »Sozial ist, was Arbeit schafft« und »Leistung muss sich lohnen« gedroschen. Natürlich setzt man auch auf Wachstum. Mit einer aggressiven Exportpolitik soll hier weiter Arbeitslosigkeit in Länder mit Importüberschüssen verlagert werden. Und selbstverständlich will die CDU/CSU eine höhere Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen. Dadurch entsteht aber kein zusätzlicher Arbeitsplatz. Und wie könnte es anders sein, sollen auch die Arbeitsmärkte über Arbeitszeiten noch mehr flexibilisiert und die Selbstständigkeit forciert werden, die bisher vielfach im Elend von Solo-Selbstständigen geendet ist.

Nein, so wird das nichts mit Vollbeschäftigung in Deutschland, zumal durch die Digitalisierung von Arbeit die Nachfrage zukünftig noch geringer ausfallen wird. Dabei wäre es so einfach, die Massenarbeitslosigkeit, die Ursache allen wirtschaftlichen Übels, zu beseitigen. Dazu müsste nur die Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich auf eine etwa 30-Stunden-Woche für alle Vollzeitbeschäftigten gekürzt und die Arbeitszeit für alle Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten (die wollen) auf eine 30-Stunden-Woche angehoben werden.

Die hierfür zur Finanzierung aber notwendige Produktivitätsrate wird zu gering sein. Das macht jedoch nichts, weil zur Kompensation nur die Mehrwerteinkommen aus Gewinn, Zins, Miete und Pacht ein Stück weit zu den Arbeitseinkommen umverteilt werden müssen. Das hat gesamtwirtschaftlich Vorteile: Erstens steigen durch die arbeitszeitinduzierte Auflösung der Massenarbeitslosigkeit insgesamt die Kaufkraft und damit die Nachfrage, die wiederum für mehr Beschäftigung sorgt. Zweitens müssen sich die Geldmächtigen nicht mehr so viele Sorgen bezüglich ihrer spekulativen Finanzanlagen machen, die womöglich wieder zu einer Finanzkrise und in Folge zu einer schwerwiegenden Wirtschaftskrise führt. Und die Bundeskanzlerin muss nicht mehr nur träumen - sondern die richtige Wirtschaftspolitik machen.

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