Kaleidoskop entwurzelter Kulturen
Vier Wochen lang gibt es beim »Yiddish Summer« in Weimar und Umgebung Klezmer und israelische Musik
Das dreistöckige große, alte Gebäude mit dem gepflasterten Hinterhof fällt auf in Weimar: Immer wieder bleiben Passanten stehen, nicht nur wegen des davor gelegenen kleinen Bücherschrankes, sondern vor allem wegen des Neugierde weckenden Erscheinungsbildes: Die oberste Etage hat noch die alten, morbiden Fenster. In den darunter liegenden Etagen wurde in den vergangenen acht Jahren mit Renovierungen begonnen, das meiste davon in Eigeninitiative. Und dreimal pro Woche hat das Café mit seiner gemütlichen wohnzimmerähnlichen Atmosphäre für drei Stunden geöffnet. Betreiber ist seit 2009 die Initiative OMA: Die Other Music Academy.
Von diesem Sonnabend an ist es hier jedoch weniger beschaulich, dafür jedoch lebendig, musikalisch - und vor allem international: Die in der Weimarer Ernst-Kohl-Straße unweit des Bahnhofs gelegene OMA ist für vier Wochen das musikalisch-organisatorische Zentrum des traditionsreichen »Yiddish Summer«. Das umfangreiche Veranstaltungs- und Mitmach-Programm mit dem Schwerpunkt Klezmermusik dauert bis zum 12. August.
Weimar als Veranstaltungsort mag überraschen: Es gibt in Weimar keine jüdische Gemeinde, die nächstgelegene befindet sich in Erfurt. Auch deshalb werden einige der Konzerte nicht nur in Weimar, sondern auch in der thüringischen Landeshauptstadt stattfinden. Auftreten werden dort etwa Israel Goldstein & Eliyahu Schleifer, Gershon Leizeron & The Yiddish Blues Drifters sowie das Caravan Orchester in Kooperation mit dem Arab-Jewish Orchestra aus Haifa.
Inspirierender Motor dieses höchst außergewöhnlichen, internationalen Projektes ist der 62-jährige Alan Bern. Nach Weimar kommt er seit 1999 regelmäßig, obwohl er seinen festen Wohnsitz in Berlin hat. Bei unserem Treffen vor vier Wochen humpelte er, benötigte einen Gehstock: »Den Fuß habe ich mir kürzlich auf Madaira bei einer Wanderung im Nebel gebrochen«, so der 62-Jährige unbekümmert.
Anlass für Sorge gibt es für den promovierten Komponisten wahrlich nicht: Wenige Tage zuvor war er von Ministerpräsident Bodo Ramelow mit dem Thüringer Verdienstorden ausgezeichnet worden. Und 2016 erhielt er bereits den Weimar-Preis. So verwundert es nicht, dass Alan Bern in Weimar eine bekannte Erscheinung ist, was auch seinem Äußeren geschuldet ist: Der 1955 in den USA Geborene hat halblange lockige weiße Haare und eine runde leichte Brille. Hervorstechend in der Begegnung ist seine Aufmerksamkeit, seine spürbare Konzentration. Stets ist er am Gegenüber interessiert. Auch sein amerikanischer Akzent scheint noch durch, obwohl er schon seit 1987 in Berlin lebt. Den Antisemitismus hat der Jude Alan Bern nie vergessen, die mörderische deutsche Geschichte auch nicht. Gerade wegen der Notwendigkeit zum Erinnern möchte der Pianist jedoch Brücken bauen - vor allem musikalische. Die Klezmer-Musik und das Improvisieren erleichtern sein die nationalen und sprachlichen Grenzen überschreitendes Engagement.
Alan Bern wuchs in einer jüdischen, vor allem jedoch in einer musikalischen Atmosphäre auf: Bereits zehnjährig spielte er, so erzählte er mir, als Pianist ein Haydn-Konzert. 1968, da war er erst 13, brach er aus, verließ die Schule als Rebell.
In diesem Jahr steht das Weimarer Klezmer-Festival unter dem Motto: »The Other Israel: Seeing Unseen Diasporas«. Israel ist nicht nur das Land, in dem die jüdische Diaspora ihren Ursprung fand. Vor allem ist es ein Kaleidoskop entwurzelter Kulturen aus zahlreichen Teilen der Welt. Porträtieren möchte man deshalb nicht nur die europäisch-jiddische Kultur, sondern auch die Iraks, Marokkos, Äthiopiens, Jemens und Russlands. Deshalb werden zahlreiche Künstler und Dozenten aus Israel nach Weimar kommen. Genannt seien das Gemeinschaftsprojekt aus dem Kadya Jugendchor mit dem Arab-Jewish Community Center in Tel Aviv, die Gruppe Gulaza, die geheime Lieder jemenitischer Frauen präsentiert, sowie die in Israel sehr bekannte chassidische Musikgruppe The Heart and the Wellsprings.
Geboten werden in diesen vier Wochen weiterhin Schnupperkurse Jiddischer Tanz, eine Jugendklezmerband, ein Shabes-inspirierter Begegnungsabend und eine Dokumentarfilmreihe. Angeboten wird aber auch ein begleitendes Kinderprogramm. Getragen jedoch wird das vierwöchige Musikfestival in Weimar vor allem von einer großen Zahl junger Ehrenamtlicher. Die sind schon seit drei Wochen aktiv.
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