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Erdogan droht mit gnadenlosem Vorgehen

Türkischer Präsident vor frenetischer Anhängerschar: Den Putschdrahtziehern »den Kopf abreißen«

  • Fulya Ozerkan, Istanbul
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Jahr nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei haben Hunderttausende Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan dessen gnadenloses Vorgehen gegen die Putschisten unterstützt. »Wir werden diesen Verrätern den Kopf abreißen«, rief Erdogan am Samstagabend der jubelnden Menge in Istanbul zu.

In Erinnerung an den Umsturzversuch vom 15. Juli hatte die islamisch-konservative Regierung der Türkei eine ganze Serie von Kundgebungen, Gedenkfeiern, Aufmärschen und Reden von Samstag bis Sonntagfrüh aneinander gereiht. Erdogan sprach nicht nur bei der Großkundgebung in Istanbul, sondern auch bei einer Sondersitzung des Parlaments in Ankara.

Dabei erneuerte der Präsident sein Plädoyer für eine Wiedereinführung der Todesstrafe. Und er sprach sich dafür aus, dass die Putschisten in spezieller Gefangenenkleidung ähnlich den berüchtigten orangefarbenen Overalls der Insassen des US-Lagers Guantánamo den Gerichten vorgeführt werden sollten. Viele Zuhörer skandierten Parolen für die Todesstrafe, manche trugen sogar Schlingen mit sich. »Wir sind Tayyips Soldaten!«, skandierte die Menge in Sprechchören.

Die EU machte bereits deutlich, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe automatisch das Ende der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bedeuten würde. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hob aber hervor, dass trotz aller Meinungsverschiedenheiten »Europas Hand ausgestreckt« bleibe. Doch forderte er in »Bild am Sonntag«, dass die Türkei »europäische Grundwerte nachdrücklich beherzigt«.

Seit der Niederschlagung des Putsches wurden mehr als 50 000 Personen inhaftiert und über 100 000 aus dem Staatsdienst entlassen. Betroffen sind nicht nur angebliche Gülen-Anhänger wie Soldaten, Polizisten, Staatsanwälte oder Richter, sondern auch kurdische und andere Oppositionelle, Journalisten und unabhängige Wissenschaftler.

Am Abend des 15. Juli 2016 hatte eine Gruppe Soldaten versucht, die Macht an sich zu reißen. Sie besetzten Brücken und Straßen und bombardierten das Parlament und den Präsidentenpalast, doch scheiterte der Umsturzversuch rasch. Ein Grund war der Widerstand der Bevölkerung, die sich nach Aufruf Erdogans den Panzern in den Weg stellte. 249 Menschen wurden - Putschisten nicht mitgerechnet - getötet. Die von der Regierung danach ausgerufene »Säuberung« führte aber schnell dazu, dass die ursprüngliche Unterstützung der Regierung durch die Opposition in Kritik und Wut umschlug.

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warf der Regierung in der Sondersitzung des Parlaments erneut vor, die Rechtsstaatlichkeit auszuhöhlen und ihre Gegner auszuschalten. Gleichzeitig forderte er eine vollständige Aufklärung der Hintergründe des Putsches. Der Vorwurf, die Regierung habe schon vorab von dem Putsch gewusst, ihn kontrolliert und dann zum Ausschalten von Gegnern genutzt, wies Erdogan bei den Feiern erneut scharf zurück. Er hatte damals in der Putschnacht von einem »Geschenk Gottes« gesprochen. AFP

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