Langzeitarbeitslose: Einfach weggerechnet
Konjunktur sorgt für Milliardenüberschüsse bei Arbeitslosenversicherung / Trotzdem keine zusätzliche Förderung für Langzeitarbeitslose
Im vergangen Jahr sind rund 1,2 Millionen Langzeitarbeitslose aus der Arbeitsmarktstatistik gestrichen worden, obwohl sie überhaupt keinen Arbeitsplatz erhielten. Das zeigen am Montag veröffentlichte Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Tatsächlich hatte nur jeder achte Langzeitarbeitslose, den die Bundesagentur nicht mehr als solchen zählte, auch eine reguläre Beschäftigung gefunden. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sabine Zimmermann, forderte von der Bundesregierung daher anzuerkennen, was die Statistik der Bundesagentur zu verschleiern versucht: nämlich dass die wenigsten Langzeitarbeitslosen einen Arbeitsplatz fänden.
Unter den Langzeitarbeitslosen, die in der Arbeitsmarktstatistik nicht mehr auftauchen, befinden sich 308 984 Personen, die eine Aus- oder Fortbildung anfingen, was auf den ersten Blick vielversprechender erscheint, als es ist. Denn nur 10 340 Personen hatten ein Studium oder eine Berufsausbildung begonnen. 298 644 hingegen nahmen an »sonstigen Ausbildungen oder Maßnahmen« teil - in der Regel von der Agentur für Arbeit geförderte Seminare zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Der statistische Trick, den die Bundesagentur dabei anwendet, ist, nach Beendigung der Maßnahme die Teilnehmer nicht länger als Langzeitarbeitslos zu zählen. Genauso wenig wie jene 507 304 Personen, bei denen eine Arbeitsunfähigkeit festgestellt worden war, oder jene 45 227, die »aus dem Erwerbsleben ausschieden«, also in Rente gingen.
Angesichts der geringen Chancen von Langzeitarbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt fordert Zimmermann, ausreichend Gelder für öffentlich geförderte Beschäftigung zur Verfügung zu stellen. Förderungen dieser Art waren zuletzt 2011 infolge von Einsparungen erheblich reduziert worden. 2016 gelangten deshalb nur 58 228 Langzeitarbeitslose an einen staatlich geförderten Arbeitsplatz - zehn Jahre zuvor waren es noch 236 191 gewesen.
Dabei gäbe es durchaus finanzielle Mittel, die Förderung für Langzeitarbeitslose zu erhöhen: Wie eine ebenfalls am Montag vom Bund der Steuerzahler veröffentlichte Berechnung zeigt, hat die Arbeitslosenversicherung im ersten Halbjahr 2017 wegen steigender Beitragseinnahmen infolge der guten Konjunkturlage einen Milliardenüberschuss erwirtschaftet. Einnahmen von 15,6 Milliarden Euro stehen Ausgaben für die Zahlung des Arbeitslosengeldes von acht Milliarden Euro gegenüber - abzüglich der Kosten für Verwaltung und Berufsförderung ein Überschuss von rund drei Milliarden Euro. Aus Sicht des Bundes der Steuerzahler ein Grund, die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung von drei auf zweieinhalb Prozent zu senken. Andernfalls werde das Versicherungsprinzip ausgehöhlt, denn die Ausgaben für die Kernleistung Arbeitslosengeld mache einen immer kleineren Anteil der Beitragseinnahmen aus.
Doch gesetzliche Aufgabe der Arbeitslosenversicherung ist nicht bloß die Finanzierung des Arbeitslosengeldes - das je nach Einzelfall auch an Langzeitarbeitslose ausbezahlt wird - sondern die Arbeitsförderung insgesamt, also auch die Finanzierung von Berufsberatung und Arbeitsvermittlung. Die Bundesregierung will allerdings weder Versicherungsbeiträge senken noch Mittel für die Förderung von Langzeitarbeitsloser erhöhen, wie es die Linkspartei fordert. Für den Fall einer Rezession schafft sie derzeit Rücklagen. In einer im Januar veröffentlichten Studie hatte das an die Bundesagentur für Arbeit angegliederte Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) empfohlen, Rücklagen von mindestens 20 Milliarden Euro zu schaffen. Ende 2016 lagen diese noch bei 11,4 Milliarden Euro. Nach einer Projektion, die die Bundesagentur kürzlich dem Haushaltsausschuss vorstellte, könnten die Rücklagen in vier Jahren sogar bereits eine Höhe von 29,3 Milliarden Euro erreicht haben.
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