Schwimmer oder Nichtschwimmer
Der »Neuköllner Schwimmbär« hat Zweitklässler im Kombibad Gropiusstadt ans Wasser gewöhnt
Zwei Dutzend Kinder stehen aufgereiht hinter einem Startblock. Oben, im Zentrum der Aufmerksamkeit: Fatima. Ihre Arme und Beine stecken in grellem Magenta, Rumpf und Kopf sind mit geblümtem Tuch bedeckt. Ein Trainer gibt ein Signal und das Mädchen springt. Prüfung bestanden - der Startblock war die letzte Hürde auf dem Weg zur Urkunde des »Neuköllner Schwimmbären«.
Seit drei Jahren arbeitet der Verein mit Zweitklässlern. Das Bezirksamt hat das Training initiiert, das vor dem eigentlichen Schwimmunterricht stattfindet. Ziel ist es, die Kinder an das kalte Nass zu gewöhnen. Trainerin Daniela von Hoerschelmann fasst die Botschaft an die Kids zusammen: »Das Wasser ist ihr Freund, die Kinder sollen aber auch nicht den Respekt verlieren.«
Auch Sportstadtrat Jan-Christopher Rämer (SPD) lässt sich stolz in königsblauem Anzug auf dem Ein-Meter-Brett fotografieren, das Neuköllner Wappen als Anstecker am Revers, an den Füßen Schlappen. Heute verleiht er den Kindern die Urkunden. Fünf Tage haben sie im Bad verbracht. Anfangs haben sie sich vom Geländer abgestoßen, später die Köpfe untergetaucht. Der reguläre Schwimmunterricht ist erst für das kommende Schuljahr angesetzt. Rämer selbst hat hier, im Kombibad Gropiusstadt, schwimmen gelernt. Doch die Fähigkeiten dazu bringen viele von zu Hause nicht mehr mit.
Fatima geht zu Rämer, um sich ihre Urkunde abzuholen. Alle Kinder klatschen. Von einer Mitarbeiterin gibt es den versprochenen Wasserball. »Nicht aufpusten, sonst landet der gleich noch im Wasser«, warnt eine Trainerin einen Jungen, der das Ventil schon herausgepult hat. Dann ist Mohammed dran. Mohammed? Mohammed kommt, die Kinder klatschen. Oh. Der falsche Mohammed. Der andere Mohammed war gemeint. Kann passieren.
Vor drei Jahren waren zirka 45 Prozent der Drittklässler im Bezirk Nichtschwimmer. Das hat zwei Gründe, erklärt Rämer: Erstens nehmen die motorischen Fähigkeiten bei Kindern ab. Das liege etwa daran, dass heute mehr Videospiele gespielt werden, statt draußen zu toben. Zu beobachten sei das in ganz Deutschland. Der zweite Grund liege in der sozialen Zusammensetzung des Bezirks. Die Szene mit den beiden Mohammeds könne gut als Symbol hierfür gelten, sagt Thorsten Reuter vom Neuköllner Schwimmbären: Viele Familien hier sind eingewandert. Zusätzlich lebten 50 Prozent der Schüler von Transferleistungen.
Das hat Auswirkungen. Deutschlandweit sind vergangenes Jahr 46 Kinder ertrunken, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Darum geht es beim Schwimmenlernen: nicht unterzugehen. Die Nichtschwimmerquote bei den Drittklässlern des Bezirks Neukölln liegt inzwischen bei unter 20 Prozent.
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