»Es kommt nicht auf Putin an, sondern auf uns«
Russland feiert mit Ludmila Alexejewa seine älteste Menschenrechtlerin
Die älteste Menschenrechtlerin Russlands, Ludmila Alexejewa, ist am Donnerstag 90 Jahre alt geworden. Sie ist bis heute die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe und weiterhin aktiv. Vor dem Jubiläum bauten die Geheimdienstler eine Fernsehbrücke mit dem Kreml in ihrem Wohnzimmer auf. Während der Sowjetzeit hatten sie bei ihr Abhörwanzen heimlich installiert.
Heute ist sie als Mitglied des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten offiziell anerkannt. Zwar verlässt sie hin und wieder ihre Wohnung im Rollstuhl. Eine Fahrt zum Kreml wäre aber zu anstrengend. »Die wollen unbedingt eine Festsitzung machen, weil die Oma es bis zum 90. Geburtstag geschafft hat«, sagt sie.
Ludmila Alexejewa wird in einem Atemzug mit legendären Namen wie Larissa Bogoras, Anatoli Martschenko, Jelena Bonner und Andrej Sacharow genannt. Sie ist eine lebende Legende. Mit 18 sei sie stramm sowjetisch gewesen, sagt Alexejewa. Erst nach dem Krieg seien ihr Zweifel gekommen, dass sie vielleicht nicht in dem besten und glücklichsten Land der Welt lebe. Mit 38 habe sie die Sowjetideologie abgestreift und die Menschenrechtsideologie angenommen. Sie habe dabei nie gegen die Landesführung gekämpft, sondern für die Bürgerrechte. Und sie habe nicht das Sowjetregime stürzen wollen. Als es aber zusammenbrach, habe sie sich doch gefreut.
Das meiste Unheil habe in Russland Stalin angerichtet, sagt Alexejewa in einem Zeitungsinterview. Das »schnauzbärtige Scheusal« habe dagegen die Russen eliminiert. Die nationale Genbank sei vernichtet worden. Einer der ersten Revolutionäre, Alexander Herzen, habe den Satz geprägt, Russland brauche zwei »nicht geprügelte« Generationen, um den Anschluss an Europa zu schaffen. Die erste postsowjetische Generation genüge allen Anforderungen. Noch eine sei aber erforderlich.
Viele Oppositionelle glauben, dass man nur Wladimir Putin aus dem Präsidentenamt werfen müsse, damit alles mit den Menschenrechten und sonstigen Ungereimtheiten ins Lot komme. Sie komme mit Putin aber gut aus, sagte Alexejewa. »Es kommt nicht auf Putin an, sondern auf uns«, sagt Alexejewa überzeugt.
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