»Antisemitismus ist Schulalltag«

Judenfeindlichkeit und Islamismus sind an Berliner Schulen weit verbreitete Phänomene

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Frau Berger, das American Jewish Committee Berlin (AJC) hat im Rahmen eines Fortbildungsprogramms Lehrer an 21 Berliner Schulen in acht Bezirken nach ihren Erfahrungen mit Antisemitismus und Islamismus befragt. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
An einer relevanten Zahl von Schulen gehören Antisemitismus und Salafismus zum Schulalltag. Insbesondere unter türkischen und arabischen Schülern setzen sich antisemitische Stereotype und eine islamistische Religiosität mehr und mehr durch. Das hat zur Folge, dass sich das Schulklima verschlechtert und andere Schüler beeinträchtigt werden. Wir können hier nicht mehr von Einzelfällen reden. Zudem konnten wir feststellen, dass Verschwörungstheorien über eine angeblich amerikanisch-jüdische Weltherrschaft weit verbreitet sind. Einige Lehrer berichteten uns, dass es für sie unmöglich ist, in ihren Klassen über den Nahostkonflikt und Israel zu sprechen. Positiv überrascht hat uns, dass die Lehrer kaum negative Erfahrungen machen, wenn sie den Holocaust im Geschichtsunterricht thematisieren.

In der Studie ist die Rede von islamischen »Moralwächtern«, die sich unter der Schülerschaft breit machten. Was ist darunter genau zu verstehen?
Es gab ein paar Fälle, wo es sich Schüler ganz offensichtlich zur Aufgabe gemacht hatten, die Einhaltung einer strengen islamischen Glaubenslehre zu überwachen. Sie achteten darauf, dass Mädchen ihr Kopftuch trugen und kontrollierten, ob der Ramadan eingehalten wird. Einzelne Lehrer berichteten uns davon. Aus unserer praktischen Arbeit wissen wir, dass es dieses Phänomen auch an anderen Schulen gibt. Das ist erschreckend.

In welchem Zusammenhang stehen islamistische Indoktrination und Antisemitismus?
In Deutschland gibt es rund 10 000 Salafisten. Davon etwas über 800 in Berlin, aber man darf dabei nicht vergessen, dass der Wirkungskreis viel größer ist und dies natürlich auch in die Schulen hineinwirkt. Über soziale Netzwerke und eine Art islamistisches Streetworking wollen Salafisten gezielt Jugendliche ansprechen und für sich gewinnen. Der Antisemitismus ist ein integraler Bestandteil der islamistischen Weltanschauung. Wenn also islamistische Glaubenslehren in den Schulen verbreitet werden, verbreitet sich auch der Antisemitismus.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Schulen für die Umfrage ausgewählt?
Wir haben auf eine gute Mischung geachtet. Unter den teilnehmenden Schulen waren Schulen mit einem hohen Anteil von Schülern aus türkischen und arabischen Familien, aber auch Schulen in bürgerlichen Gegenden waren vertreten. Wir haben Lehrer angesprochen, die wir bereits aus anderen Kontexten kannten. Andere sind bewusst auf uns zu gekommen.

Das AJC engagiert sich seit Jahren in der Bildungsarbeit gegen antisemitische Diffamierung und rassistische Gewalt an Schulen. Haben Sie die Ergebnisse der Umfrage überrascht?
Wir wussten, dass es einen Resonanzboden für antisemitische und islamistische Denkmuster an Schulen gibt. Das Ausmaß der Verbreitung hat uns aber schon überrascht.

Die Umfrage entstand im Rahmen des Projekts »Demokratie stärken - Aktiv gegen Antisemitismus und Salafismus!«, das das AJC zusammen mit der Senatsbildungsverwaltung ins Leben gerufen hat. Worum geht es bei dem Projekt?
Es geht darum, Lehrer für die Problematik zu sensibilisieren und aufzuklären. Viele wissen gar nicht, was Salafismus ist. Wir wollen den Lehrern auch konkrete Praxistipps an die Hand geben, was sie bei antisemitischen Äußerungen im Unterricht und einer beginnenden islamistischen Radikalisierung tun können.

Die Lehrer fühlen sich mit dem Problem des Antisemitismus und des Islamismus im Klassenzimmer häufig alleine gelassen. Was muss die Politik tun?
Antisemitismus und Islamismus müssen als Probleme ernst genommen werden. Der Senat stellt sich dem Thema. Das ist gut. Es braucht aber weitaus mehr finanzielle Ressourcen für demokratiefördernde Bildungsprogramme. Neben den Lehrern müssen auch die Schulleitungen und die Eltern mit ins Boot geholt werden.

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