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Wenn der Impfstoff alle ist

Bei einigen Immunisierungsmedikamenten kommt es derzeit zu Engpässen / Industrie sieht aber keine Gefahr

  • Lesedauer: 3 Min.

Bedauerndes Schulterzucken bei einer Essener Ärztin für Reisemedizin: »Für Sie haben wir keinen Impfstoff mehr.« Die 58-jährige Patientin wird ohne Auffrischung ihres Schutzes gegen Polio (Kinderlähmung) die Fernreise antreten müssen. Auch ein Besuch beim Hausarzt blieb ergebnislos.

»Engpässe bei der Versorgung mit einzelnen Impfstoffen gibt es immer wieder«, berichtet Isabelle Bekeredjian-Ding, Abteilungsleiterin beim Paul-Ehrlich-Institut aus dem hessischen Langen. Das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel führt im Auftrag des Gesundheitsministerium seit Oktober 2015 Buch über Lieferengpässe. Seit Mitte Juni sind Polio-Impfstoffe knapp, bestätigt die Expertin. Hintergrund seien ein massiver Anstieg der weltweiten Nachfrage und eine Umstellung der Produktion. Bei Versorgungspro-blemen sollen zuerst Kinder und Jugendliche geimpft werden, heißt es von Seiten der Ständigen Impfkommission. Erwachsene mit vorhandener Grundimmunisierung müssten zunächst verzichten.

Betroffen von Engpässen seien in der Vergangenheit auch andere Impfstoffe gewesen, etwa gegen Keuchhusten (Pertussis). Das Fehlen bestimmter Reiseimpfungen etwa gegen Typhus oder Gelbfieber kann in einigen Ländern allerdings zum Einreiseverbot führen.

Nach Recherchen des Fachmagazins »Ärzte Zeitung« beherrschen nur wenige Pharmakonzerne, darunter das britische Unternehmen Glaxo-SmithKline (GSK), rund 95 Prozent des Impfstoffweltmarktes. »Dass in naher Zukunft weitere große Pharmahersteller hinzukommen, ist nicht zu erwarten«, stellt die Zeitung fest. Auch habe sich noch kein Hersteller von Generika (Nachahmerpräparaten) an die Produktion gewagt.

Weltweit sei der Bedarf an Impfstoffen »massiv angestiegen«, berichtet Bekeredjian-Ding. In Deutschland komme es immer wieder zu Engpässen, die Wochen oder auch Monate anhielten. Ein Lieferengpass beim Hersteller bedeute dabei nicht automatisch, dass der Impfstoff bei Großhändlern, Apotheken oder Arztpraxen nicht mehr vorhanden sei.

Für die Lieferengpässe werden viele Gründe aufgeführt. »In der Pharmabranche gibt es attraktivere Produkte, die weniger aufwendig in der Herstellung, Qualitätskontrolle und Logistik sind«, stellte etwa das »Deutschen Ärzteblatt« im Frühjahr fest. Die Gewinnmargen seien bei Impfstoffen zudem niedriger, weil sie nur ein- bis viermal im Leben und nicht mehrmals täglich verabreicht würden.

Die Pharmaindustrie hält dagegen: Allein drei neue Impfstoffwerke in Burgwedel, Marburg und Singen seien in Deutschland derzeit im Ausbau, sagt der Geschäftsführer Forschung des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller, Siegfried Throm. »Wir sehen doch, dass Impfstoffhersteller groß investieren«, meint er. Die Herstellung sei aber eine »extrem komplexe Angelegenheit«. Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit hätten absolute Priorität.

Weltweit seien die Impfstoffkapazitäten jedoch beschränkt, so dass der Ausbau nicht Schritt halten könne. Allerdings habe es - von einem Ausbruch in der Ukraine im Jahr 2015 abgesehen - in Europa seit 2002 keine Poliofälle mehr gegeben. In Deutschland seien die letzten Fälle 1992 aufgetreten. »Wenn die Ausrottung erfolgreich ist, braucht man einige Jahre danach keinen Polio-Impfstoff mehr«, so Throm. Für die Hersteller weist GSK darauf hin, dass in nur wenigen Fällen eine Impfung unmittelbar erforderlich sei. Auffrischimpfungen gegen Kinderlähmung seien nur bei Reisen in Länder wie Nigeria, Afghanistan oder Pakistan wirklich notwendig. dpa/nd

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