Verbrecher light
Die zweite Staffel von »Im Knast« zeigt, wie mit wenig Aufwand kreative Fiktion möglich ist
Es war einmal im Fernsehen früherer Tage, da reichte noch eine kleine Farm mit Großfamilie, um ganze Familien über Jahre zu unterhalten. Waren die Kinder im Bett, wurden Gangster durch San Franciscos Straßen gejagt. Am Ende siegte das Gute so sicher, wie Kojak am Lolly leckte. Heute dagegen wird selbst am Vorabend gemordet. Und sind die Kinder im Bett, wimmelt es von Monstern und Meth-Köchen. Kein Wunder, dass es sogar »Im Knast« längst ulkig zugeht. So hieß eine Sitcom, die vor zwei Jahren das erste Mal lief und die fürs verantwortliche ZDF so sehr vom Showkrimiseifeneinerlei abwich, dass sie in die Nacht des eigenen Spartenkanals Neo abgeschoben wurde. Schade eigentlich.
Denn der Sechsteiler aus deutscher Produktion erinnerte fast ein bisschen an den österreichischen Aberwitz von Humorrevoluzzern wie David Schalko oder Josef Hader. Nun startet - wie damals leider erst zur Geisterstunde - die Fortsetzung. Und sie ist wieder auf sehr spezielle Art unterhaltsam. Nach dem gescheiterten Gefangenenaufstand im Staffelfinale 2015 geht das Haftleben der JVA einer nicht näher spezifizierten Stadt wieder seinen gewohnten Gang. Beinahe zumindest. Denn die strenge Justizsenatorin (Katy Karrenbauer) degradiert den inkompetent debilen Anstaltsleiter (Wilfried Hochholdinger) zum Wachmann und ersetzt ihn durch Christine Urspruch als zackige Law-and-Order-Direktorin.
Im anarchistischen Durcheinander sorgt sie jedoch mit so brachialen Mitteln für Disziplin, dass ihr Vorgänger mithilfe einiger Insassen zum Gegenschlag ausholt. Dieser hat mit einer geheimen Grünfläche zwischen den Gefängnismauern zu tun, worauf der Episodentitel »Ärger im Paradies« hindeutet, während im zweiten Teil namens »Der Zweiäugige unter den Blinden« neben Angelhaken, Augenklappen und Reizgas auch Sonya Kraus zum Einsatz kommt, was den Irrsinn der neuen sechs Folgen nur unzureichend umreißt.
Der allerdings wäre ohne das sensationelle Ensemble abseits netter Gaststars wie Jörg Hartmann bis hin zu - wer sonst?! - Martin Semmelrogge womöglich selbstreferenziell und öde. Am bekanntesten mag noch Denis Moschitto sein, der den arglosen Größenwahn des kleinkriminellen Erdem zum Niederknien komisch aufzeigt und zu einer völlig eigenen Form von Kanaksprak findet. Erst durch seine zwei liebsten Mitinsassen aber beginnt Moschittos Part förmlich zu funkeln: Tristan Seith als teddybärhafter Manni, den eine Affekthandlung am Hodensack des Lovers der eigenen Frau hinter Gitter gebracht hat. Und Manuel Rubey als Anlagebetrüger Alexander, von nobler Gestalt mit Wiener Schmäh, genannt »Der Graf«. Zusammengehalten wird das ungleiche Trio wie zuvor durch Marleen Lohse. Ihre JVA-Psychologin Nora ist von bestechender Glaubwürdigkeit.
Ihnen allen hat das Autorenteam um Gregor Eisenbeiß unter der Regie von Daniel Rakete Siegel und Torsten Wacker Dialoge von zuweilen grandioser Originalität auf den Leib geschrieben, die selbst den Sitcomstandard überdrehter Mimik verzichtbar macht. Und dann dürfen sie das auch noch in einer Filmästhetik zum Besten geben, die hierzulande überaus selten ist. Besonders der Sound dient dabei nicht bloß als schmückendes Beiwerk (oder schlimmer noch: dröhnender Klangbrei), sondern avanciert zur tragenden Nebenrolle. Ton, Songs und Worte wechseln sich dabei nicht wie sonst üblich miteinander ab, sondern werden zu 25-minütigen Videoclips montiert, in denen die Kamera von Timo Schwarz mal zu Gangsta-Rap, mal zu Speed Metal, mal zum Dröhnen der Stille Schlitten fährt wie Graf Alex im Drogenrausch.
Für Zuschauer mit normalen Sehgewohnheiten ist das manchmal schwer verdaulich. Und damit das bis in alle Ewigkeit so bleibt, läuft dieses ungewöhnliche Stück Comedy dort, wo es garantiert niemand sieht. Wem das zu aufregend ist: Um 20.15 Uhr zeigt der Muttersender ein harmloses Ratespiel mit Johannes B. Kerner. Gute Nacht wünscht das Zweite Deutsche Fernsehen.
ab 27. Juli, 23.30 Uhr, ZDFneo
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.