Italien stimmte doch noch zu
»Sophia« wird fortgesetzt / 100 Millionen für Rom
Italien trägt ohne Zweifel die Hauptlast der Migrationsbewegungen, die von der nordafrikanischen Küste über das Mittelmeer kommen. Allein seit Jahresbeginn sind 93 000 Menschen an den italienischen Küsten gestrandet. Kein Wunder, dass die Weigerung der EU-Partner, auch ihre Häfen für die Flüchtlingsboote oder den internationalen Rettungsschiffen zu öffnen, Rom stark verärgerte.
Als Konsequenz sah die Regierung Paolo Gentilonis keinen anderen Ausweg, als sich einer Verlängerung der EuNavFor-Med-Operation »Sophia« zu verweigern. Außenminister Angelino Alfano hatte am 17. Juli auf einer Kollegenkonferenz in Brüssel scharf und unmissverständlich geklagt, dass alle auf hoher See geretteten Flüchtlinge nach Italien verbracht würden. Dies sei nicht länger hinzunehmen, weswegen das Land eine Fortsetzung von »Sophia« nicht unterstützen könne. Mit dem EU-Einsatz im Mittelmeer sollen Bootsflüchtlinge gerettet, vor allem aber Schleuser bekämpft werden. Wäre es bei dem harten Kurs Roms geblieben, so hätte das seit 2015 bestehende Projekt an diesem Donnerstag sein Ende gefunden.
In einem Brief an den italienischen Regierungschef vom Dienstag sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nun konkrete Hilfe zu. Man werde Italien mit dem Flüchtlingsproblem »nicht allein lassen«. Juncker stellte 100 Millionen Euro in Aussicht, die für eine Beschleunigung der Asylverfahren sowie für Flüchtlingsdirekthilfe eingesetzt werden könnten. Zudem wolle Brüssel 500 Experten nach Italien senden, die den hiesigen Behörden bei einer schnelleren Bearbeitung der Asylanträge und gegebenenfalls auch bei einer Repatriierung unter die Arme greifen sollen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte dem italienischen Ministerpräsidenten Gentiloni in einem Telefonat am Mittwoch die deutsche Unterstützung in der Flüchtlingskrise zu.
Nach den EU-Plänen wird die Operation »Sophia« nun bis zum 31. Dezember 2018 verlängert. Der politische Streit um das Projekt innerhalb der Union bleibt jedoch. Kritiker monieren, dass die Präsenz von EU-Marineeinheiten vor der libyschen Küste mehr Flüchtlinge anlocken könnte. Denn die Schiffe drängen nicht nur die Schleuser ab, sie nehmen auch in Seenot geratene Flüchtlinge auf. Genau damit, so die Kritiker, rechneten die Schlepperbanden. Einige plädieren deshalb dafür, direkt in libyschen Gewässern militärisch gegen die Schleuserboote vorzugehen. Die EU lehnt solche Forderungen ab, weil ein Eindringen in das Hoheitsgebiet der Genehmigung der libyschen Regierung bedürfe. Die jedoch ist zurzeit keineswegs stabil.
Überdies forderte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz, Italien möge die Flüchtlinge nicht ans Festland bringen. Kurz befürchtet eine Wanderbewegung und drohte wiederholt, den Grenzübergang am Brenner - Haupttransitpunkt zwischen Italien und Österreich - zu schließen.
Ob mit oder ohne eine Verlängerung der Operation »Sophia« - für Italien hätte sich im Falle einer Weigerung das Flüchtlingsproblem nicht gelöst. Eher wäre noch eine Verschärfung zu befürchten gewesen. Nachrichtendienste ermittelten, dass sich auf der so genannten Niger-Route weitere 300 000 Flüchtlinge in Richtung Küste bewegen, zum Teil unterstützt durch französisches Militär, das einen regelrechten Fluchtkorridor freihält. Bei der anhaltend ruhigen Wetterlage im Mittelmeerraum wird auch in den kommenden Wochen mit weiteren Flüchtlingen aus Libyen zu rechnen sein.
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