Turnschuhfans unter sich
Am Wochenende fand die Messe »Sneakerness« statt / Produktionsbedingungen in der Kritik
Da sind die meisten längere Schlangen von ihren Shoppingtouren gewohnt: Am Wochenende öffnete zum zweiten Mal die »Sneakerness« in der Station Berlin ihre Pforten. Wer früh kam, brauchte sich aber nicht lange anzustellen. Die Messe, welche auch in Amsterdam, Zürich, Moskau oder Paris stattfindet, zieht Turnschuhverliebte aus dem ganzen Bundesgebiet und dem Ausland in die Hallen des alten Postbahnhofs am Gleisdreieck. Hier werden seltene Paare Schuhe von privaten Sammlern oder auch spezialisierten Schuhgeschäften verkauft, getauscht oder einfach ausgestellt. Doch nicht nur Sneaker werden angeboten, sondern auch T-Shirts, Pullover und Jacken.
Die Kleidungsstücke werden teils zu horrenden Preisen verkauft. Ein Händler bietet einen Turnschuh des Sportartikelherstellers »Nike« für 2700 Euro an. Den »Air Max 1 + 41« gibt es nur 41 mal auf der ganzen Welt und er ist nicht einmal einer der teuersten Modelle auf der Messe. Zusammen mit fünf Freunden bietet der Verkäufer Sören ungefähr 500 Paar aus seiner Sammlung an. »Gestern ging schon gut was weg«, sagt er. Hohe Preise scheinen die potenziellen Käufer also nicht abzuschrecken.
Das sieht man auch auf der Straße: Der sogenannte Sneakertrend boomt. Die Turnschuhe sind aus der Modewelt nicht mehr wegzudenken. Auch erschwinglichere Modelle werden von vielen normal getragen. Die Subkultur ist, mindestens unter jüngeren Menschen, zum Mainstream geworden. Doch trotzdem wird die Szene oft nicht ernst genommen oder verurteilt.
Max Schneider (15) hat dies schon einige Male beim Campen vor Schuhläden erlebt. »Die fahren dann morgens um sechs Uhr am Laden vorbei und gucke dich an als wärst du ein Vollidiot«, beschreibt er seine Erfahrungen. Beim sogenannten Camp Out warten die Sneakerfans vor ausgewählten Läden, um ein begehrtes Paar limitierter Modelle zu ergattern. Teilweise mehrere Tage sitzen sie dabei auf Campingmöbeln in den Reihen. Warum, das kann niemand so genau sagen. Doch neben dem sozialen Aspekt steckt sicherlich auch ein Wille nach Profilierung hinter dem irrationalen Verhalten. »Ich find’s okay«, sagt der 15-Jährige zu dem Vorwurf. Er hat am ersten Messetag schon für 1000 Euro eingekauft.
Berndt Hinzmann von INKOTA, einem globalisierungskritischen Netzwerk, kritisiert genau dieses Verhalten der Turnschuhfans. Er arbeitet für die Kampagne »Change your Shoes« - also wechsele Deine Schuhe. Den unreflektierten Umgang mit der Kaufentscheidung der jungen Menschen möchte der Globalisierungskritiker ändern. »Es wird vergessen, wie die Sachen hergestellt werden«, erklärt der Ansprechpartner des Projekts. »Das ist eine Unkultur!«, kritisiert er scharf. Denn auch Arbeitsverhältnisse in den Produktionsstandorten werden selbst szeneintern nicht thematisiert, meint er. Diese entsprechen oft nicht den internationalen Menschen- und Arbeitsrechten. Wichtig ist der Kampagne eine Offenlegung der Lieferketten in der Schuhproduktion, da bisher oft keine Transparenz vorliegt.
Das trifft bei den Besuchern allerdings häufig auf taube Ohren. »Das kann man dann auch zu allem sagen«, erwidert Clark Aqua (19) auf die Vorwürfe. »Es ist komplett egal, ob man Supreme (Modelabel mit Sammlerwert, Anm. d. Red.) oder Klamotten von Kik trägt.« Im Zweifel würden die Produkte von teuren Marken noch eher in Ländern mit guten Arbeitsbedingungen produziert.
Ein gelungenes Beispiel, das greifbarer ist, liefert Hikmet Sugoer. Der Gründungsvater der deutschen Sneakerkultur stellte am Sonntagmittag in Berlin seine neuen Modelle auf der Messe vor. Die Schuhe der Marke Sonra sind in Deutschland mit lokalem Leder hergestellt. Die Koryphäe der Szene beobachtet eine Veränderung in den Unternehmensphilosophien, zum Beispiel bei Adidas oder New Balance. Dort wird wieder vermehrt auf die Herstellung in Deutschland beziehungsweise in England und den USA gesetzt. Doch »das sind alles Prozesse«, erklärt er.
Der 44-jährige Sugoer aus Friedrichshain ist schon lange ein Fan der sportlichen Treter. In seinem Laden Solebox in der City West verkaufte er lange Zeit Schuhe. Mittlerweile hat er den Laden an eine große Schuhkette verkauft. Abgewandt hat er sich allerdings auf keinen Fall von den Sneakerliebhabern. Nun konzentriert er sich auf seine eigenen Modemarke und vor allen Dingen auf seine eigenen Schuhmodelle. »Dass, was für unsere Eltern Panini-Bildchen oder Briefmarkensammlungen waren, sind heute die Schuhsammlungen«, erklärt Hikmet Sugoer den Hype, immer neue Schuhe zu kaufen. Die Kultur, die um die Schuhe herum entstanden ist, begeistert ihn noch heute: »Hier sind verschiedene Kulturen, Herkunftsländer und Meinungen versammelt und alle kommen miteinander klar. Es gibt keinen Stress. Und das alles, weil sie einen gemeinsamen Nenner haben: Die Schuhe.«
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