EU leitet Verfahren gegen Polen ein
Wegen umstrittener Justizreform geht Kommission gegen Mitgliedsstaat vor / Ungarn kündigt Beistand an
Die EU-Kommission lässt ihren Warnungen Taten folgen und leitet ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein. Dies kündigte sie am Samstag als Reaktion darauf an, dass ein von Staatspräsident Andrzej Duda unterzeichnetes Gesetz am Freitag im polnischen Gesetzblatt veröffentlicht worden war. Das neue Gesetz erlaubt dem Justizminister, alle leitenden Richter zu ernennen oder zu entlassen, die an gewöhnlichen polnischen Gerichten tätig sind.
Die Warschauer Regierung hat nun einen Monat Zeit, um auf ein an sie gerichtetes Warnschreiben der EU-Kommission zu antworten. Ein Vertragsverletzungsverfahren kann zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und zu Geldstrafen führen.
Die umstrittenen Justizreformen der regierenden nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sorgen in Polen für anhaltende Proteste und in Brüssel seit Monaten für Unmut.
Das Gesetz verstoße - so die Kommission - gegen die EU-Richtlinie zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt, da es unterschiedliche Pensionsalter vorsieht. Besorgniserregend sei zudem, dass der Justizminister nach Belieben die Amtszeit einzelner Richter über das Pensionsalter hinaus verlängern könne und das Recht erhalte, die Gerichtspräsidenten zu ernennen und zu entlassen. Damit werde die Unabhängigkeit der Justiz »untergraben«, so die Kommission.
Polens Europaminister Konrad Szymanski wies das Vertragsverletzungsverfahren indes als »unbegründet« zurück. Das unterschiedliche Pensionsalter für Männer und Frauen gelte auch für alle anderen Berufe, seit die Rente mit 67 rückgängig gemacht worden sei.
Der polnische Außenminister Witold Waszczykowski warnte die EU-Kommission: »Das wird für einige Monate für böse Emotionen und eine negative Atmosphäre in den beiderseitigen Beziehungen sorgen.«
Die PiS-Partei hat in den vergangenen Wochen insgesamt vier Gesetze verabschiedet, die nach Ansicht der EU-Kommission Rechtsstaat und Gewaltenteilung bedrohen. Ein Gesetz über die Landesjustizschule trat Anfang Juni in Kraft. Gegen zwei Gesetze zur Reform des Obersten Gerichts und des Landesrichterrats (KRS) hatte Staatspräsident Duda am vergangenen Montag überraschend sein Veto eingelegt.
Gegen Polen läuft schon seit Anfang 2016 ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit, weil die Regierung aus Sicht der EU-Kommission die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts - nicht zu verwechseln mit dem Obersten Gericht - beschnitten hatte. Bisher gab es allerdings noch keine Konsequenzen.
In einem weitergehenden Schritt könnte Brüssel sogar ein Verfahren nach Artikel sieben des EU-Vertrags einleiten, das im äußersten Fall zur Aussetzung der Stimmrechte eines EU-Mitgliedsstaats führen kann. Als Hindernis gilt dabei allerdings, dass Ungarns Regierungschef Viktor Orbán bereits angekündigt hat, Polen mit seinem Veto beistehen zu wollen. nd/Agenturen
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.