Emma allein gegen die Depression

In einer neuen Tagesklinik in Treptow-Köpenick kämpfen sich Kinder zurück in ihr Leben

  • Jana Klein
  • Lesedauer: 5 Min.

Statt in die Schule, in die sie sowieso nicht mehr gegangen ist, kommt Emma* jetzt seit einer Woche jeden Tag in die Tagesklinik. Hier soll die 14-Jährige lernen, wieder aktiver am Leben teilzunehmen und sich nicht von ihren Ängsten lähmen zu lassen. Vor Kurzem hat der Klinikkonzern Vivantes sein psychiatrisches Angebot in der Stadt um eine Tagesklinik für Kinder und Jugendliche erweitert. In Treptow-Köpenick stehen nun 16 Plätze für junge Menschen bereit, die aus einem oder mehreren ihrer drei Lebensbereiche herausgefallen sind: Familie, Schule, Beziehungen.

Emma hat mit zwölf Jahren angefangen, ihre Hobbys und Freundschaften zu vernachlässigen: Zum Tanzen wollte sie nicht mehr gehen, von der Klavierstunde, die sie sich mal selbst ausgesucht hatte, hat sie sich abmelden lassen. Zunächst war Emma froh, so dem Stress zu entkommen und Zeit für sich zu haben, mit Büchern und Musikhören. In der Grundschule war es ihr noch spielend leichtgefallen, gute Leistungen nach Hause zu bringen. Möglicherweise war es zu einfach für das Mädchen, bei dem eine Hochbegabung festgestellt worden war. Auf dem Gymnasium musste sich Emma auf einmal anstrengen, um am Ball zu bleiben - so etwas kannte sie vorher gar nicht.

Yonca Izat ist Chefärztin im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie bei Vivantes. Sie hat die neue Klinik mit gegründet. Oftmals sind es die Schulen, die die Kinder und Jugendlichen zu ihr schicken, erzählt sie. Entweder weil sie nicht mehr kommen, oder weil sie kommen - und sich dort so aggressiv aufführen. Dann gelten sie als »nicht beschulbar«.

Mit negativen Gefühlen wie Wut oder Angst umgehen zu lernen, das ist eines der Ziele hier in der täglichen Klinikarbeit. Viele Kinder müssten zunächst ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie diese Gefühle haben, um dann einen konstruktiven Umgang mit ihnen zu finden. Auch für Erwachsene ist das oft keine leichte Übung. Schlimmer noch, wenn sie ihre Schwierigkeiten auf ihre Kinder übertragen. Manchmal muss man mit beiden reden: mit Kindern und Eltern. Denn die sind Teil der Lebenswelt der Patienten. Izat sagt: »Es geht nicht darum, den Eltern Vorwürfe zu machen.« Alle Beteiligten brächten ihre Lebensumstände mit, wie sie nun mal sind. Dann müsste man gemeinsam einen Weg finden, mit diesen umzugehen. Das kann zum Beispiel heißen, ein Kind zu ermutigen, auch mal zu sagen: »Ich möchte, dass du ein bisschen weggehst« - gerade bei sehr fürsorglichen Eltern manchmal besonders schwierig.

Bei Emma war das aber überhaupt nicht das Problem. Reden konnte sie über ihre Schwierigkeiten, besonders gut mit ihrer Mutter. Der hat sie irgendwann, als in der Schule eine Choraufführung anstand, anvertraut, dass sie riesige Angst davor habe. Und dass sie sich überfordert und oft niedergeschlagen fühle. Emmas Mutter wiederum hat die Gefühle ihrer Tochter akzeptiert. Viele Eltern werten die Symptome von depressiven Jugendlichen jedoch ab. Sie betonen, wie gut es ihren Kindern doch »eigentlich« gehe, und schieben es häufig auf Faulheit, wenn ihre Kinder morgens »mit Bauchschmerzen« nicht aus dem Bett kommen wollen. Dabei gibt es keine zwingende Kausalität zwischen den Lebensumständen und der Krankheit Depression.

Bei den Angststörungen, die zweite vorläufige Diagnose des Mädchens, ist es ähnlich. Sie können manchmal von außen kaum nachvollziehbar wirken oder sich durch eine Angstspirale verschärfen. Mit Beginn der Pubertät, berichtet Emma, habe sie sich in ihrem Körper nicht mehr wohlgefühlt, vor allem vor anderen. »Ich habe das Gefühl gehabt, dass die Leute mich immer anschauen. Wieso läuft die so komisch, was hat die an?«, sagt sie. Emma fing an, ihre Freunde nicht mehr zu treffen. »Keine Lust«, hat sie ihnen dann gesagt. Zu Hause empfand sie zwar weniger Stress, aber eben auch diese Niedergeschlagenheit. Ihr Problem wuchs weiter. Bis ihr irgendwann selber auffiel: »Das kann ich nicht mehr alleine lösen.«

Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis Emma schließlich Hilfe bekam. Nach anfänglichen Interviews und vorläufigen Diagnosen wurde ihr die Aufnahme in der Tagesklinik vorgeschlagen. Etwa drei Monate blieben Patienten in solchen Einrichtungen, sagt der Arzt Jacob Florack, der mit Emma arbeitet. Man schaue sich zusammen mit den jungen Menschen ihre Lebenssituation und vor allem die Krisenbereiche an. Für die entwickle man alternative Strategien. Auch das Selbstbild der Patienten und die Wahrnehmung ihrer Lebensumwelt ist Gegenstand von Therapiestunden. Die Kinder und Jugendlichen sollen sich besser selbst beobachten - und sich »kognitiv umstrukturieren«, wie es in der Fachsprache heißt.

In der Klinik wendet man einen Mix aus den unterschiedlichsten Therapieströmungen an, je nachdem, was für ein Kind gerade am besten passt. Teil der Arbeit ist auch das Lernen in der Klinikschule, in der viele Kinder mit ersten Lernerfolgen seit Langem überhaupt wieder ihre »Selbstwirksamkeit« spüren - also dass sie handelnd Einfluss auf ihre Lebensumstände haben. In der Schule war diese Erfahrung vielen seit Langem verwehrt.

In dem halben Jahr vor dem Klinikaufenthalt war auch Emma immer wieder durch Fehlen in der Schule aufgefallen. Wie viele Stunden es genau sind, kann sie nicht mehr sagen. Es dürften viele Fehlstunden gewesen sein. In den Schulräumen mit Arbeitsplätzen für sechs oder auch nur drei Kinder lernt sie mit Gleichaltrigen, orientiert am Stoff ihrer eigentlichen Klasse. Aber jetzt sind erst einmal Sommerferien.

*Name von der Redaktion geändert

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