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Quantität vor Qualität

Die deutsche Synchronisation fremdsprachiger Filme wirkt oft lieblos und künstlich. Gründe dafür gibt es viele

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Jeder Mensch ist einzigartig. Geruch, Gang und Gesicht, Hand, Fuß, Statur - zur Unverwechselbarkeit des Individuums fehlt da eigentlich nur noch eins: seine Stimme. Sofern sie es denn ist. Während Jimmy Parsons Dr. Sheldon in »The Big Bang Theory« redet, wie Amerikaner so reden, verpasst ihm der Berliner Synchronsprecher Gerrit Schmidt-Foß für die Pro7-Fassung einen Tonfall zwischen Jerry Lewis und Bully Herbig. Wenn Emily Deschanel danach als »Bones« Verbrechen löst, erinnert Ranja Bonalanas blecherne deutsche Stimme nur entfernt an Deschanels dunkles Timbre. Und auch sonst gilt für die Transformation fremder Zungen ins Heimatidiom: Mit dem Original hat sie oft wenig zu tun.

Wer die Fernsehhölle sucht, muss gar nicht ins Dschungelcamp ziehen. Fiktional brennt sie in vielen der drei Dutzend Synchronstudios von Hamburg über Berlin bis München sehr viel heißer. Dort nämlich wird der Ausgangstext zumindest für den Bildschirm oft so übersteuert eingedeutscht, dass man sich an Waschmittelwerbung erinnert fühlt. Müssen, besser: dürfen, sich etwa Skandinavier das Wesen importierter Werke meist nur untertitelt erschließen, wird hierzulande vom Filmklassiker über die Amazon-Serie bis zur BBC-Doku alles ins Stahlbad deutscher Emphase getaucht. Es ist ein Gräuel.

Verantwortlich dafür ist zum Beispiel die Faulheit des vornehmlich älteren Publikums, das sich anders als in Holland chronisch weigert, Gesagtes am Bildschirm zu lesen statt zu hören. Auf dem Feld schnell rotierender Massenware wie »How I Met Your Mother« oder in der »CSI«-Familie herrscht außerdem enormer Kostendruck zulasten der Sorgfalt. Hinzu kommt ein notorischer Drang zur Lippensynchronität, der zwar besser ist als die osteuropäische Neigung zum genölten Voice-Over, aber besonders bei Formaten aus Dänemark und Schweden oft nur mit dem Schraubstock zu erzwingen ist. Alles gute Gründe. Bis auf diesen: Lieblosigkeit im Umgang mit den Worten, die doch die Welt des Films bedeuten.

Wenn wie im Frühjahr die Stimme des Hollywood-Profis Zach Galifianakis (»Hangover«) als »LEGO-Batman« hierzulande durch den schauspielerisch talentfreien Youtube-Star Gronkh ersetzt wird oder der zugkräftige, aber sprachlich grobe Claas-Sidekick Joko Winterscheidt durch den neuen Minions-Film stümpert, mangelt es nun mal nicht an besseren Sprechern, sondern am Respekt vorm Medium. Andererseits, das weiß auch Tobias Jahn, der Aufnahmeleiter vom Marktführer Berliner Synchron, hat es oft sehr menschliche Ursachen, wenn die Qualität hinter der Quantität herhinkt. Vor allem der wachsende Zeitdruck, kritisierte Jahn unlängst in der »Süddeutschen Zeitung«, ließen »kreative Entscheidungen schwieriger werden«.

Undiplomatischer ausgedrückt: Für drei Euro Honorar pro Szene wäre Achtsamkeit am Mikro wohl auch zu viel verlangt. Platzhirsche wie Hansi Jochmann (Jodie Foster) oder Volker Brandt (Michael Douglas) handeln zwar hohe Pauschalen aus; im Fernsehen jedoch leidet das Niveau so unterm Fließband, dass Pro7 zuletzt die Neuübersetzung der furchtbar synchronisierten »Vikings« forderte. So was ist aus Sicht von Tobias Neumann zwar auch Geschmackssache. Dennoch hat der Mitbegründer des Synchronverbands nun ein Gütesiegel entwickelt.

Wer seit Januar den Kodex der Gilde zur Achtung von »Professionalität, Originaltreue, Verlässlichkeit, Transparenz« unterschreibt, darf das Label im Abspann zeigen. Doch Fairness und Teamwork bei genug Zeit und Geld zu garantieren, hat einen Haken: Weil fünf der sechs großen Studios im Verband sind, kriegen neun von zehn Kinofilmen und diverse TV-Formate ohne Einzelfallprüfung ihr Siegel. Für Neumann ist es daher »keine Auszeichnung im künstlerischen Sinne«, spiegelt aber Minimalstandards wider, denen sich die Koalition aus allen Gewerken vom Sprecher bis zum Tonmeister unterwirft. Ein wichtiges Signal ans Publikum, das sich Serien zusehends im Original streamen lässt.

Beim Rest herrscht eine Art Hassliebe zu den Stimmen ihrer Lieblinge. Als Christoph Jablonka voriges Jahr Norbert Gastell als Homer Simp᠆son ersetzte, löste sich die harsche Kritik der Fans daher rasch in Wohlwollen auf. Sein Geheimnis: weder Bruch noch Kopie. Doch während Robert de Niro persönlich Christian Brückners Synchronisation seiner selbst lobt, versaut Joachim Tennstedts Walter White vielen den Spaß an »Breaking Bad«. Und entfremdet den Nachwuchs vom Regelprogramm. Dass es dort nicht mehr Zweikanalton gibt, ist übrigens ein lizenzrechtliches, kein technisches Problem. Das wäre doch mal sinnvoll investiertes Gebührengeld: Gebt der Stimme ihre Einzigartigkeit zurück!

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