Weite Wege im Sand
Sam Shepard tot
Die Wüste lebt, wenn ein Mensch darin verdurstet. Wim Wenders’ großer Film »Paris, Texas« beginnt mit einem Blick über die Weite der texanischen Öde, eine Einladung zum Verdursten. Dann: der Blick auf einen Menschen, der in Gefährdung steht, diese Einladung anzunehmen. Ein langer Zug aus einem Wasserkanister, der Mann trinkt die letzten Tropfen, dann nur noch die Luft aus dem Behältnis. Als lösche auch sie den Durst. Aber hier löscht alles nur alles und jeden aus.
Der Mann jedoch wird im letzten Moment gefunden werden, er wird zu Malt, seinem Bruder, und dessen Frau Anne kommen. Ein Schock. Für beide, denn der Mann, Travis, ist seit vier Jahren vermisst, ein Totgeglaubter. Er wird schweigen, spät erst sprechen, mühsam, wenig, und er wird mit einem kleinen Jungen auf die Suche nach dessen Mutter gehen, und er wird sie in einer Peepshow finden, und er wird ihr durch die Glasscheibe (er sieht sie, aber sie nicht ihn), per Tischtelefon, beider Geschichte erzählen. Er wird Mutter und Sohn zusammenbringen und selbst aus der Erzählung gehen. Aber anders, als er schon einmal ging. Jetzt nicht als Schuldiger, Verzweifelter, jetzt als einer, der die Dinge in Schwebe hält zwischen Ende und neuem Anfang.
Sam Shepard, Jahrgang 1943, hat das Drehbuch zu diesem Film geschrieben. Wie zu Michelangelo Antonionis »Zabriskie Point«. Wieder eine Wüsten-Welt: Amerika als Albtraum, Auswuchs und Anlass für Ausbruch und Alternativdrogen. Shepard, der über vierzig Theaterstücke schrieb, war auch ein Geschichtenerzähler für die Kino-Klassik. Verzweigte, stille, traurige Dramen über die elende Wucht der Versäumnisse. Doch immer wandelt sich der Wunsch, der fliegen kann, zur Wüste, in der die Füße bluten. Shepard war ein Dramatiker der Versandung und Versteppung, der Prärie, des schier ausweglosen Planeten Erde. Und immer ist in seinem Werk die Liebe der Nachtrab zu dem, was aus ihr hätte werden können. Erzählt etwa in »Fool for Love« von Robert Altman.
In einem Gespräch mit Wim Wenders sagte Shepard: »Es sind wenige Dinge, die ich mag: Tramper, Cowboy-Kultur, Überlandfahrer, Glücksspiele.« In diese Wörter passen ganze Leben hinein. Und Geschichten, die wir einst von uns erzählen werden, wenn jene Zeit, die wir hatten, nur noch Frist ist - diese Geschichten werden die Umkehrung eines Kinderwunsches sein: alle zähe Gegenwart zu überspringen. Bei Shepards Drehbüchern sind es oft Melodramen, in denen Männer auf Suche gehen, im lastenden Gepäck Sehnsucht, Menschen zu finden. So wie in »Homo Faber« von Volker Schlöndorff, in dem Shepard ebenso die Hauptrolle spielte wie in Wenders’ »Don’t Come Knocking«, nach eigenem Drehbuch. Diese Erzählungen beschwören Vergangenheit und nähren den heimlichen Glauben, man könne doch noch einmal von vorn leben, aber nun ganz anders. Doch diese Welt wird uns nur immer sehnend groß, damit wir genügend Raum finden, darin zu verschwinden.
Nun ist der Schauspieler und Pulitzer-Preisträger Sam Shepard, 73 Jahre alt, in Kentucky gestorben.
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