Deutsche wollen Polizisten nummerieren
Umfrage zeigt mehrheitliche Unterstützung für Kennzeichnungspflicht und Body Cams bei der Polizei / NRW stellt sich gegen Trend zu mehr Transparenz
Schon bald könnten Polizisten in Nordrhein-Westfalen bei Fußballspielen und Demonstrationen wieder weitgehend anonym auftreten, doch einer Umfrage zufolge unterstützt sowohl deutschlandweit als auch in NRW eine Mehrheit der Befragten die Kennzeichnungspflicht für Polizisten.
Laut einer Umfrage der Meinungsforscher von YouGov, die dem »nd« vorliegt, sprechen sich 45 Prozent für die bisher in vielen Ländern praktizierte Kennzeichnung von Polizisten mit einem Nummerncode aus. 29 Prozent fordern gar eine namentliche Kenntlichmachung einzelner Beamter, und nur 17 Prozent finden, eine Kennzeichnung sollte es nicht geben. Auch in Nordrhein-Westfalen spricht sich eine Mehrheit für eine Kennzeichnung mit Nummern aus, 16 Prozent wollen gar keine Kennzeichnung. Damit ist die Kennzeichnungspflicht weiterhin populär in Deutschland. Eine Umfrage aus dem Jahr 2015 hatte ähnliche Ergebnisse ermittelt.
Für die repräsentative Umfrage wurden 1026 Deutsche vom 28. Juli bis zum 1. August online befragt. Die Umfrage zeigt gleichzeitig ein hohes Vertrauen in die Polizei. 46 Prozent der Befragten geben demzufolge an, sie hätten »relativ viel« Vertrauen darin, dass die Polizei das Richtige tut, 18 Prozent sogar »sehr viel«. Das widerspricht sich offenbar nicht mit dem Wunsch nach einer Kennzeichnungspflicht als Teil moderner Polizeiarbeit.
Für Professor Tobias Singelnstein zeigt die Umfrage, dass eine »große Mehrheit der Bevölkerung für eine rechtstaatliche Kontrolle der Polizei ist«. Der Kriminologe forscht an der Ruhr-Universität Bochum zu sozialer Kontrolle und der Polizei. Für Singelnstein ist es »eine Selbstverständlichkeit, dass Beamte dem Bürger nicht anonym gegenübertreten«. Für die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen hingegen steht die allgemeine Kennzeichnungspflicht für einen »Generalverdacht« gegenüber Polizisten.
Nach dem G20-Gipfel hatte die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf erklärt, die Kennzeichnungspflicht wieder abschaffen zu wollen. Diese sei ein Ausdruck von Misstrauen gegenüber der Polizei, doch die brauche »Rückhalt« statt »Stigmatisierung«. Anfang Juli hatte der Düsseldorfer Landtag mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD eine Resolution der schwarz-gelben Koalition gebilligt, die eine Abschaffung der Kennzeichnungspflicht ankündigt. Für die gebe es »keine Notwendigkeit und keine sachlichen Gründe«, erklärte Innenminister Herbert Reul (CDU). Amnesty International hingegen sieht sie als Voraussetzung, um das Handeln von Polizeibeamten überhaupt gerichtlich überprüfen und Beamte in »unübersichtlichen« Einsätzen identifizieren zu können, und spricht sich gegen ihre Abschaffung aus.
Derzeit gilt die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte in neun Bundesländern. Schon seit 2011 gilt die Pflicht in Berlin. 2012 und 2013 zogen Schleswig-Holstein und Brandenburg nach. 2014 folgten Bremen und Rheinland-Pfalz. Vor zwei Jahren führte dann auch das schwarz-grün regierte Hessen eine Kennzeichnung seiner Polizeibeamten ein. Ende Juni beschloss als letztes Bundesland Sachsen-Anhalt die Einführung der individuellen Kennzeichnung seiner Polizeibeamten. Dann kam die Ankündigung zur Abschaffung der erst im Februar 2017 eingeführten Kennzeichnungspflicht aus Nordrhein-Westfalen.
»Das ist ein Rückschritt und schlicht unverständlich«, meint Polizeiforscher Singelnstein über die Ankündigung aus Düsseldorf. Es gebe »kein einziges sinnvolles Argument gegen die Kennzeichnungspflicht«, sagt der Kriminologe. Er glaubt nicht, dass andere Länder dem Beispiel folgen werden. Doch auch wenn es in vielen Ländern einen Trend zur individuellen Markierung von Polizisten gibt: In Baden-Württemberg hatte die grün-rote Regierung zunächst im Koalitionsvertrag 2011 die Einführung der »Individualkennzeichnung« beschlossen, um dann Ende 2015 wieder von der Maßnahme abzurücken, SPD und Polizeigewerkschaften lehnten das Projekt ab. Auch in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern ist die Kennzeichnungspflicht zwar geplant, aber noch nicht umgesetzt.
Nüchtern wird die Kennzeichnungspflicht in den Ländern bewertet, wo sie bereits eingesetzt wird. Die Befürchtung der »Zunahme von Übergriffen oder willkürlich-unberechtigten Strafanzeigen gegen Polizeivollzugsbedienstete haben sich als unbegründet erwiesen«, heißt es in einem Bericht des Brandenburger Innenministeriums von 2015. Das gelte auch weiterhin erklärt das Innenministerium dem »nd«. Wer Polizisten angreifen wolle oder gar »ins Privatleben nachstellen« wolle brauche dazu keine Kennzeichnung, »der kriegt das auch so hin«, erklärt Ministeriumssprecher Oliver Decker. Er widerspricht den Erklärungen der »aufgeregten Debatte« aus Nordrhein-Westfalen: Die Kennzeichnungspflicht sei »keine Stigmatisierung« von Polizistinnen, schließlich »tragen viele Berufsgruppen ein Namensschild«. Allerdings hätte es auch keinen Fall gegeben, der nur mithilfe der Kennzeichnungspflicht aufgeklärt werden konnte. Darauf beruft sich auch Wolfgang Beust, Sprecher des Innenministeriums in Nordrhein-Westfalen. Polizisten in geschlossenen Einheiten der Bereitschaftspolizei seien auch weiterhin durch taktische Kennzeichnungs ihrer Einsatzgruppe zuzuordnen.
Auch in Hessen ist es laut einem Bericht des Innenministeriums vom letzten Jahr nicht zu den von den Polizeigewerkschaften befürchteten Übergriffen oder grundlosen Anzeigen gegen Polizeibeamte gekommen. Vielmehr gebe es »keine Probleme« mit der Kennzeichnungspflicht, erklärte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU). Dass die Einführung der Kennzeichnungspflicht bisher nicht zu einem Anstieg von Anzeigen gegen Polizisten wegen Fehlverhalten geführt hat, sagt aber nichts aus über tatsächliches Fehlverhalten von Polizisten. Die Entscheidung, eine Anzeige zu erstatten, hinge nur zu einem geringen Teil davon ab, ob man einen Verdächtigen – etwa mittels Kennzeichnungspflicht – genau beschreiben könne, erklärt Singelnstein. Polizeiforscher sehen die Kennzeichnungspflicht nur als einen Teil einer transparenteren Polizeiarbeit.
Die Kennzeichnungspflicht sei »kein Allheilmittel gegen Polizeigewalt«, sagt Philipp Krüger von Amnesty International dem »nd«. Als nächsten Schritt fordert Amnesty deshalb die Einrichtung von »unabhängigen Beschwerdestellen« in Deutschland. Bisher müssen Polizeibeamte aus der eigenen Behörde gegen ihre Kollegen ermitteln, wegen des Interessenskonflikts werden viele Ermittlungen nach Anzeigen gegen Polizeibeamte eingestellt.
Weiter fortführen will die schwarz-gelbe Koalition in NRW übrigens den noch von der rot-grünen Vorgängerregierung beschlossenen Modellversuch zu Body Cams bei den Polizeibehörden in Düsseldorf, Köln und drei weiteren Städten. Die Polizisten weisen Betroffene dabei auf den Einsatz der Kameras hin und zeigen die aufgenommenen Bilder in einem Display.
Auch in anderen Bundesländern werden solche Kameras derzeit getestet. In Frankfurt am Main werden seit 2013 Körperkameras erprobt, zuletzt beschloss auch der Landtag in Sachsen-Anhalt einen zweijährigen Test von 50 Body Cams in Magdeburg, Halle und Dessau. Die Kameras sollten Polizisten vor »gewalttätigen Übergriffen« schützen, erklärte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Doch umgekehrt haben in den USA, wo Body Cams schon länger und viel flächendeckender eingesetzt werden, die Kameras auch das Fehlverhalten von Polizisten aufgedeckt.
Erst kürzlich wurde etwa ein Polizist in Baltimore, der einem Verdächtigen Drogen »untergejubelt« hatte, mittels Body Cam überführt. Ende Juli einigte sich die Polizei in Aurora, Colorado und die Anwälte eines Mannes, der mit einem Taser von hinten zu Boden gebracht wurde, auf die Zahlung eines Schmerzensgeld von 110.000 Dollar. Bürgerrechtler kritisieren aber auch die Aufzeichnung von Videobildern von Bürgern als problematisch. Außerdem könnten Polizisten die Kameras in kritischen Situationen einfach ausstellen. Für Polizeiforscher Singelnstein sind die Body Cams deswegen ein »ambivalentes Instrument«. Nutzen und Probleme würden »sehr von der konkreten Ausgestaltung« der Kameranutzung durch die Polizei abhängen.
Auch den Einsatz von Körperkameras befürworten die meisten Deutschen. Laut YouGov-Daten befürworten 81 Prozent den Einsatz der Body Cams. Und die öffentliche Diskussion über die Kameras hat Wirkung gezeigt, die Zustimmung zu der Maßnahme ist gewachsen. Vor zwei Jahren befürworteten nur 71 Prozent die Kameras für Polizisten.
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